27. Januar 2023
Deutsche Uro-Onkologen e.V. (d-uo) haben das Ziel, als Interessenverband die wissenschaftlichen, ökonomischen, sozialpolitischen und qualitätssichernden Maßnahmen der niedergelassenen Uro-Onkolog:innen in Deutschland zu organisieren und zu vertreten. d-uo untersucht dabei auch gezielte Fragestellungen bei Tumorerkrankungen aus dem urologischen Gebiet. Hierzu gehört auch die vorliegende Untersuchung zur Osteoprotektion bei Patienten mit einem kastrationsresistenten Prostatakarzinom mit Knochenmetastasen (mCRPC).
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Hintergrund
Das Prostatakarzinom ist weiterhin der häufigste bösartige Tumor des Mannes in der westlichen Welt. Das Robert Koch-Institut (RKI) gibt für das Jahr 2018 in Deutschland eine Neuerkrankungszahl von 65.200 mit einem mittleren Alter von 71 Jahren an (1). Im Jahr 2018 starben in Deutschland 14.963 Männer an einem Prostatakarzinom (1).
Patienten mit einem Prostatakarzinom haben per se bereits ein höheres Risiko für eine Osteoporose (2). Dieses Risiko ist unter androgendeprivativer Therapie (ADT) nochmals höher. Auch ohne das Vorliegen von Knochenmetastasen ist die Osteoporose eine der häufigsten Ursachen für das Auftreten von Frakturen (3).
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Ein Hauptziel bei Patienten mit einem mCRPC mit Knochenmetastasen besteht in der Reduktion der Rate an skelettbezogenen Komplikationen (SRE). Für die osteoprotektive Therapie von Patienten mit einem mCRPC mit Knochenmetastasen sind der gegen den Receptor Activator of NF-κB Ligand (RANKL) gerichtete Antikörper Denosumab sowie mehrere Bisphosphonate zugelassen. Von Relevanz sind vor allem Denosumab und Zoledronsäure. Denosumab wurde im Jahr 2011 in einer Dosierung von 120 mg s.c. alle 4 Wochen zur Prävention von SRE (pathologische Fraktur, Bestrahlung des Knochens, Rückenmarkkompression oder operative Eingriffe am Knochen) bei Erwachsenen mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen und Knochenbefall zugelassen (4). Zoledronsäure wurde im Jahr 2003 in einer Dosierung von 4 mg i.v. alle 3-4 Wochen zugelassen zur Prävention von SRE (pathologische Frakturen, Wirbelkompressionen, Bestrahlung oder Operation am Knochen oder tumorinduzierte Hyperkalzämie) bei erwachsenen Patient:innen mit fortgeschrittenen, auf das Skelett ausgedehnten Tumorerkrankungen (5). Nationale und internationale Leitlinien-Empfehlungen hinsichtlich Diagnostik und Therapie liegen vor (6-9).
Von d-uo wurde nun die Versorgungssituation im Hinblick auf die Osteoprotektion zur Vermeidung von SRE bei Patienten mit einem mCRPC mit Knochenmetastasen in urologischen Praxen in Deutschland untersucht.
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Als drittes Tätigkeitsfeld von d-uo werden gezielte Fragestellungen bei Tumorerkrankungen aus dem urologischen Gebiet untersucht. Hierzu gehört auch die vorliegende Untersuchung zur Osteoprotektion bei Patienten mit einem mCRPC mit Knochenmetastasen (13).
Material und Methoden
Alle 200 uro-onkologischen Praxen, die Mitglied bei d-uo sind, wurden in dieser fragebogenbasierten Untersuchung nach der Anzahl der Patienten mit einem histologisch gesicherten Prostatakarzinom befragt, die im Zeitraum von 01. Juli 2019 bis 30. Juni 2020 mindestens einmal in der betreffenden Institution gesehen wurden. Hierzu wurde die Abfrage der Diagnose C61 (bösartige Neubildung der Prostata) nach dem International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD-10) vorgenommen (13).
Für die weitere Analyse wurden alle Patienten mit einem mCRPC mit Knochenmetastasen hinsichtlich des Beginns, der Art und Dauer der medikamentösen osteoprotektiven Therapie sowie der zusätzlichen Gabe von Kalzium und Vitamin D betrachtet.
Ergebnisse
Von 15 teilnehmenden Praxen wurden für den Zeitraum vom 01. Juli 2019 bis 30. Juni 2020 insgesamt 3.692 Patienten mit der Diagnose Prostatakarzinom eingeschlossen. Pro Praxis wurden durchschnittlich 246 Patienten (Spannweite 11-812 Patienten) mit einem Prostatakarzinom betreut. Von den 3.692 Patienten hatten 410 Patienten (11,1%) ein mCRPC mit Knochenmetastasen. Von diesen bekamen 274 Patienten (66,4%) eine medikamentöse Osteoprotektion (67,9% Denosumab und 32,1% ein Bisphosphonat). Die mittlere Zeit von Erstdiagnose der Knochenmetastasierung bis zum Beginn der Osteoprotektion betrug 18,6 Monate für Denosumab und 24,7 Monate für Bisphosphonate. Die mittlere Therapiedauer mit Denosumab betrug 25,3 Monate und mit Bisphosphonaten 39,6 Monate (13).
Von den 274 Patienten, die eine osteoprotektive Medikation erhielten, wurden 256 Patienten (93,4%) mit Kalzium und Vitamin D behandelt. Bei 194 Patienten (70,1%) erfolgte diese Therapie zeitgleich mit der osteoprotektiven Therapie und bei 62 Patienten (22,6%) zeitversetzt. Die Dosis lag für Kalzium zwischen 500 und 1.000 mg/Tag und für Vitamin D zwischen 400 und 1.000 IE/Tag (13).
In der vorliegenden Arbeit wurde nicht nach den Entscheidungsgründen für Beginn, Art, Dosierung und Dauer der osteoprotektiven Therapie gefragt.
Leitlinienempfehlungen
In der S3-Leitlinie Prostatakarzinom wird zur Verhinderung bzw. Verzögerung symptomatischer SRE bei Patienten mit Knochenmetastasen der Anti-RANKL-Antikörper Denosumab sowie das Bisphosphonat Zoledronsäure empfohlen. Diese Empfehlung bezieht sich explizit auf das kastrationsresistente Stadium. Bei hormonnaiven Patienten mit Knochenmetastasen wird dagegen von der Gabe osteoprotektiver Substanzen abgeraten (6).
Die S3-Leitlinie Supportive Therapie führt aus, dass bei Patienten mit ossären Metastasen bei Prostatakarzinom die Gabe von Denosumab gegenüber Zoledronsäure zu einer zahlenmäßig geringen, statistisch signifikanten Reduktion der SRE führen würde. Bei anderen Outcome-Parametern (wie z.B. Schmerz, Lebensqualität, Rückenmarkkompression, Mortalität und Kieferosteonekrose) würde keine Evidenz für einen Unterschied bestehen (7).
Die ESMO-Leitlinie Bone health in cancer aus dem Jahr 2020 nimmt auch Stellung zur Therapie von Patienten mit Prostatakarzinom und Knochenmetastasen (8). Zoledronsäure sei das einzige Bisphosphonat, welches die SRE-Rate bei Patienten mit mCRPC reduziert, und zwar um 36%. Im direkten Vergleich zwischen Zoledronsäure und Denosumab konnte Denosumab die Zeit bis zum ersten SRE verlängern und die SRE-Rate um 18% reduzieren (8).
Im Jahr 2020 publizierten Saylor und Kollegen für die American Society of Clinical Oncology (ASCO) eine methodische und inhaltliche Analyse der Cancer Care Ontario Bone Health and Bone-Targeted Therapies for Prostate Cancer Guideline, wie sie im Jahr 2017 publiziert worden war (9). Im Kern wurden die Empfehlungen der letztgenannten Leitlinien bestätigt und zur Therapie von Patienten mit mCRPC Denosumab und Zoledronsäure empfohlen (9).
Real-world
In der vorliegenden Arbeit an 410 Patienten mit einem mCRPC erhielten 66,4% der Patienten eine osteoprotektive Medikation (Tab. 1). Hiervon bekamen 68% Denosumab und 32% Zoledronsäure (Tab. 2). Die Dauer der osteoprotektiven Therapie betrug 25,3 Monate für Denosumab und 39,6 Monate für Zoledronsäure (Tab. 3).
Tab. 1: mCRPC: Häufigkeit der Osteoprotektion in der „Real world“.
In der Zulassungsstudie von Denosumab wurden die Patienten im Median für 11,9 Monate (Denosumab) bzw. 10,2 Monate (Zoledronsäure) behandelt (14). Die maximale Therapiedauer lag für Denosumab bei 40,5 Monaten und für Zoledronsäure bei 37,4 Monaten (14).
Eine Publikation aus den USA berichtete über 2.559 Patienten mit einem mCRPC aus dem Zeitraum 2013-2017 (16). Das mediane Überleben aller Patienten mit einem mCRPC lag bei 21,2 Monaten. Mit „lebensverlängernder“ Medikation wie Docetaxel, Abirateron, Enzalutamid u.a. (77% der Patienten) betrug das mediane Gesamtüberleben 23,7 Monate und ohne 10,1 Monate (23% der Patienten). Insgesamt erhielten 1.638 Patienten (64%) eine osteoprotektive Medikation (67,2% Denosumab und 32,8% Zoledronsäure) wie in den Tabellen 1 und 2 gezeigt. Die Therapiedauer wird in der Arbeit nicht angegeben (16).
Australische Daten zeigen folgendes Bild: von 532 Patienten mit einem mCRPC erhielten 232 Patienten (46%) eine osteoprotektive Medikation (Tab. 1) (17). Der Anteil von Denosumab lag bei 78,9% (Tab. 2). Bei 148 Männern (28%) trat ein symptomatisches SRE (SSE) auf. Der Anteil einer osteoprotektiven Therapie bei diesen 148 Männern lag bei 28%. Die Art der Erstlinientherapie hatte ebenfalls Einfluss auf den Einsatz einer osteoprotektiven Medikation. Patienten unter Docetaxel, Abirateron bzw. Enzalutamid erhielten in 51%, 31% bzw. 38% eine osteoprotektive Medikation. Insgesamt sahen die Autor:innen eine klare Indikation zum Einsatz einer osteoprotektiven Medikation bei Patienten mit mCRPC (17).
Tab. 2: mCRPC: Verwendete Osteoprotektiva in der „Real world“. k.A.=keine Angabe
Diel et al. untersuchten 361 Patienten mit einem metastasierten Prostatakarzinom und einer osteoprotektiven Therapie anhand von Verschreibungsdaten der Jahre 2011-2015 (18). Bei 34% der Patienten wurde Denosumab und bei 58% Zoledronsäure verabreicht (Tab. 2). Die mediane Therapiedauer lag bei 21 Monaten für Denosumab und 13 Monaten bei Zoledronsäure (Tab. 3). Ein Wechsel von Denosumab zu Zoledronsäure wurde bei 2% der Patienten vorgenommen. Umgekehrt war dies bei 11% der Patienten der Fall. Unklar ist die Verteilung der Therapeut:innen auf Krankenhaus und Praxis sowie auf die Disziplinen Urologie und Hämatoonkologie. Einschränkend ist zu bemerken, dass es sich um Verschreibungsdaten handelte und die Zahl tatsächlich behandelter Patienten unklar ist (18).
Tab. 3: mCRPC: Mittlere Therapiedauer mit Osteoprotektiva in der „Real world“. k.A.=keine Angabe
Link et al. erfassten für das Jahr 2016 insgesamt 463 Patienten mit einem Prostatakarzinom und gleichzeitiger osteoprotektiver Therapie anhand eines Fragebogens eines kommerziellen Anbieters (16). Von den 463 Patienten hatten allerdings nur 181 Patienten ein mCRPC. Von diesen erhielten 80% eine osteoprotektive Therapie (Tab. 1). Angaben zur Verteilung von Denosumab und Zoledronsäure fehlen für diese Patientengruppe ebenso wie Angaben zur Therapiedauer. Unklar ist ebenfalls die Verteilung der Therapeut:innen auf Krankenhaus und Praxis sowie die Disziplinen Urologie und Hämatoonkologie (15).
Die S3-Leitlinien Prostatakarzinom und Supportive Therapie enthalten keine Aussage zur Therapiedauer (6, 7). Die ASCO-Leitlinie empfiehlt ebenfalls keine bestimmte Dauer der osteoprotektiven Therapie (9). In der ESMO-Leitlinie wird für ein oligometastasiertes Prostatakarzinom Zoledronsäure empfohlen. Im Falle einer Komplettremission oder guten partiellen Remission wird nach 24 Monaten Therapie eine Unterbrechung der osteoprotektiven Therapie für möglich erachtet. Bei Patienten mit multiplen Metastasen wird Denosumab oder Zoledronsäure empfohlen. Im Falle einer Komplettremission oder guten partiellen Remission wird der Wechsel auf Zoledronsäure alle 3 Monate empfohlen (8). In der ESMO-Leitlinie wird ebenfalls darauf hingewiesen, dass das Absetzen von Denosumab zu einem Rebound-Effekt mit erhöhter Frakturgefahr führen könnte (8).
Es gibt keine prospektiven Daten zu Therapiedauer oder möglichen Therapiepausen. Im Gegensatz zu Zoledronsäure wird Denosumab nicht „im Knochen gespeichert“. Daher führt ein Absetzen von Denosumab zu einem möglichen Rebound-Effekt mit erhöhter Frakturrate (8). Vor diesem Hintergrund wird beispielsweise in der ESMO-Leitlinie nach Absetzen von Denosumab die „abschließende“ Gabe von Zoledronsäure empfohlen – wobei auch hier die optimale Dosis unbekannt ist (8).
Zusammenfassung
In der vorliegenden Studie haben wir Daten zur osteoprotektiven Therapie des mCRPC erhoben, die in dieser Form in Deutschland bisher nicht verfügbar waren. Von 410 Patienten mit einem mCRPC aus 15 urologischen Praxen im Zeitraum 7/2019 bis 6/2020 erhielten 66,4% eine osteoprotektive Therapie (13). Von diesen 274 Patienten wiederum bekamen zwei Drittel Denosumab und ein Drittel Zoledronsäure. Im Vergleich mit der internationalen Literatur liegen die Zahlen für knochenprotektiv behandelte Patienten mit einem mCRPC zwischen 46% und 80%. Denosumab hat dabei einen Anteil zwischen 34% und 79%. Eine explizite Empfehlung für ein Präparat soll hier nicht ausgesprochen werden. Jedenfalls sollten die eingesetzten Substanzen in der jeweils zugelassenen Dosierung bzw. Therapieintervall verabreicht werden und Kalzium und Vitamin D supplementiert werden. Die Entscheidung, welche Substanz eingesetzt wird, soll sich vor allem auch an Parametern wie Zulassung, Applikationsart, Wirkung und Nebenwirkungsprofil orientieren.