25. Juli 2023
Zur diesjährigen Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft für Onkologie (ASCO) wurden neue Daten zum metastasierten Nierenzellkarzinom (mRCC) präsentiert. Während die Daten der Phase-III-Studien in der Erstlinientherapie mit Nachbeobachtungszeiten von 3, 4 bzw. 5 Jahren die Überlegenheit der Kombinationen aus Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI) und Tyrosinkinase-Inhibitoren (TKI) für Patient:innen in der intermediären und schlechten Prognosegruppe bestätigen, gibt es in der guten Prognosegruppe keinen Überlebensvorteil gegenüber einer TKI-Monotherapie. Dies führt nun endgültig zur Frage, ob die bestehenden Therapieempfehlungen überarbeitet werden sollten.
Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Wirksamkeitsparameter der 4 zugelassenen und in internationalen Leitlinien empfohlenen Kombinationstherapien (Immun-Immun-Kombination Nivolumab + Ipilimumab, ICI-TKI-Kombinationen), bei denen der Vergleichsarm jeweils aus Sunitinib bestand (1-4). Während die CheckMate 214-Studie Patient:innen in der intermediären und schlechten Prognosegruppe nach den Kriterien des International Metastatic Renal-Cell Carcinoma Database Consortium (IMDC) (5) einschloss und Nivolumab und Ipilimumab auch nur für die intermediäre und schlechte Prognosegruppe zugelassen sind, erhielten die TKI-ICI-Kombinationen eine Zulassung in allen Prognosegruppen. Für die Kombinationsstudien liegen mittlerweile Nachbeobachtungszeiten von 3 Jahren (Cabozantinib + Nivolumab), 4 Jahren (Lenvatinib + Pembrolizumab) bzw. 5 Jahren (Ipilimumab + Nivolumab, Axitinib + Pembrolizumab) vor.
Ansprechrate
Das Gesamtansprechen besteht aus dem kompletten Ansprechen (CR) und dem partiellen Ansprechen (PR) und stellte seit der Einführung der TKI einen wichtigen Parameter dar. Die ICI-basierten Kombinationen erreichen hohe Gesamtansprechraten (ORR) von 39% (Nivolumab + Ipilimumab), 60% (Axitinib + Pembrolizumab), 56% (Cabozantinib + Nivolumab) sowie 71% (Lenvatinib + Pembrolizumab, Tab. 1) (1-4). Unter Sunitinib-Monotherapie wurden in den Vergleichsarmen niedrigere ORR zwischen 27% und 40% berichtet. Auch die Rate an Komplettremissionen war bei den Therapiekombinationen mit 10-12% bzw. sogar 17,2% (Lenvatinib + Pembrolizumab) deutlich höher im Vergleich zu 4,2% unter Sunitinib (Tab. 1).
Tab. 1: Überblick der Phase-III-Kombinationsstudien zur Erstlinientherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms mit langer Nachbeobachtungszeit (mod. nach (1-4)). Ipi/Nivo=Ipilimumab + Nivolumab, Axi/Pembro=Axitinib + Pembrolizumab, Cabo/Nivo=Cabozantinib + Nivolumab, Len/Pembro=Lenvatinib + Pembrolizumab, n=Anzahl, FU=Follow-up (Nachbeobachtungszeit), mPFS=medianes progressionsfreies Überleben, mOS=medianes Gesamtüberleben, ORR=Gesamtansprechrate, CR=Komplettremission, PD=Progression, NR=noch nicht erreicht, HR=Hazard Ratio, KI=Konfidenzintervall
Progressionsfreies Überleben
Die Kombination aus Lenvatinib + Pembrolizumab zeigt mit 23,3 vs. 9,2 Monaten das höchste progressionsfreie Überleben (PFS, Tab. 1). Während die TKI mit ihrer Ansprechrate einen relativ raschen und breiten klinischen Benefit erzeugen, werden unter der Immuntherapie initial vergleichsweise mehr Patient:innen progredient. Der vorrangige Benefit der Immuntherapie liegt jedoch im langen Gesamtüberleben (OS) derjenigen Patient:innen, die auf die Therapie ansprechen, was sich wiederum eindrucksvoll im medianen OS zum Zeitpunkt von 5 Jahren manifestiert.
Gesamtüberleben – alle Prognosegruppen
Die ICI-basierten Kombinationen zeigten bislang alle einen signifikanten Vorteil im OS (Tab. 1). Die CheckMate 214-Studie und die KEYNOTE-426-Studie weisen die längsten Nachbeobachtungszeiten von 5 Jahren auf und zeigten ein medianes OS (mOS) von 55,7 bzw. 47,2 Monaten gegenüber 38,4 bzw. 40,8 Monaten unter Sunitinib (1, 2). Für die Kombination aus Cabozantinib + Nivolumab wurden die Daten mit 3 Jahren Nachbeobachtungszeit präsentiert und es konnte in der ITT-Population ein signifikanter Vorteil im mOS von 49,5 vs. 35,5 Monaten unter Sunitinib demonstriert werden (HR=0,70) (3).
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Erschienen am 17.02.2023 • Eine 6-wöchige Kombinationstherapie aus Pembrolizumab und Axitinib zeigt Wirkung beim aRCC. Mehr erfahren Sie hier bei uns!
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Bei der Betrachtung der finalen Analyse der CLEAR-Studie fällt auf, dass das mOS unter Lenvatinib + Pembrolizumab mit 53,7 vs. 54,3 Monaten niedriger als im Sunitinib-Arm zu sein scheint (HR=0,79; 95%-KI: 0,63-0,99) (4). Dies liegt darin begründet, dass sich die Kurven einmalig genau in dem Punkt schneiden, an dem die 50%-Wahrscheinlichkeit zum Versterben aus der Kaplan-Meier-Kurve berechnet wird, während die Überlebenskurve unter Lenvatinib + Pembrolizumab sowohl vor als auch nach diesem Zeitpunkt der Sunitinib-Kurve überlegen ist. Die HR, die den gesamten Beobachtungszeitraum betrachtet, zeigt mit 0,79 einen signifikanten Überlebensvorteil für Lenvatinib + Pembrolizumab.
Gesamtüberleben – gute Prognosegruppe
Wie sich in den letzten Jahren schon angedeutet hatte, konnte keine der TKI-ICI-Kombinationen – ungeachtet der bestehenden Zulassung – einen signifikanten OS-Vorteil bei Patient:innen in der guten Prognosegruppe zeigen (Tab. 1). Unter Axitinib + Pembrolizumab gibt es in der guten Prognosegruppe keinen Vorteil gegenüber Sunitinib im OS (HR=1,10; 95%-KI: 0,79-1,54), nur einen gewissen Vorteil im PFS (HR=0,76; 95%-KI: 0,57-1,02). Auch für Lenvatinib + Pembrolizumab konnte in der guten Prognosegruppe zwar ein Vorteil im PFS (28,6 vs. 12,9 Monate; HR=0,50; 95%-KI: 0,35-0,71), jedoch kein Vorteil im OS gegenüber Sunitinib demonstriert werden (HR=0,94; 95%-KI: 0,58-1,52). Für Cabozantinib + Nivolumab besteht nach 3 Jahren Nachbeobachtung ebenfalls noch ein Vorteil gegenüber Sunitinib im PFS (HR=0,75; 95%-KI: 0,5-1,13), jedoch nicht für das OS (HR=1,07; 95%-KI: 0,63-1,79).
Bedeutung für die Praxis
Nachdem die stärkste Empfehlung der TKI-ICI-Kombinationen in der Erstlinie auch für Patient:innen in der guten Prognosegruppe von allen internationalen Leitlinien übernommen wurde, obwohl der OS-Benefit in dieser Gruppe bislang nicht nachzuweisen war, sollte dies aktuell wieder zur Diskussion gestellt werden. Kritik an der zeitweise kaum noch hinterfragten generellen Indikation der Kombinationstherapie in der guten Prognosegruppe war vielfach geäußert worden (6-8). In der deutschen S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom wird für Patient:innen in der guten Prognosegruppe eine „soll“-Empfehlung für die TKI-ICI-Kombinationen in der Erstlinie formuliert: „Zur Erstlinientherapie des fortgeschrittenen oder metastasierten klarzelligen Nierenzellkarzinoms soll bei allen Risikogruppen eine der folgenden Kombinationstherapien eingesetzt werden:
Die Aktualisierung der im Februar erschienenen 4. Fassung der deutschen S3-Leitlinie Nierenzellkarzinom erfolgte Ende 2022 und damit vor der Verfügbarkeit der aktuellen Studiendaten.
Grundsätzlich macht überdies die Tatsache nachdenklich, dass auch bei der Gesamtpopulation der Überlebensvorteil der TKI-ICI-Kombinationen in der Erstlinie gegenüber der Sunitinib-Monotherapie mit zunehmender Nachbeobachtungszeit immer kleiner wird (Tab. 1).
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Dank der molekularen Begleitanalyse der IMmotion151-Studie, in der Atezolizumab + Bevacizumab mit Sunitinib in der Erstlinientherapie verglichen wurde und die hinsichtlich ihrer klinischen Endpunkte negativ war, konnte gezeigt werden, dass Subtypen des mRCC durch unterschiedliche Gensignaturen charakterisiert sind: Patient:innen aus der guten Prognosegruppe zeigten häufiger Angiogenese-hohe Gensignaturen als solche in der intermediären und schlechten Prognosegruppe. Letztere hingegen zeigten häufiger T-Effektor-hohe Signaturen und hohe PD-L1-Expression als jene Patient:innen mit günstigem Risikoprofil. Sarkomatoide mRCC präsentierten sich mit einer Angiogenese-niedrigen und T-Effektor-hohen Gensignatur und wiesen eine höhere PD-L1-Expression auf (10). Somit könnten Patient:innen aus der guten Prognosegruppe vermutlich mit einer TKI-Monotherapie behandelt werden und benötigen eher keine TKI-ICI-Kombination.
Demgegenüber kann zugunsten der Kombinationstherapie argumentiert werden, dass sie nicht mit einer deutlich höheren Toxizität einhergeht und zusätzlich zur antiangiogenen Komponente einen – allerdings in der guten Prognosegruppe schwer quantifizierbaren – therapeutischen Effekt bietet. Die höhere Chance einer kompletten Remission kann ebenfalls als Argument für die TKI-ICI-Kombination in der Erstlinientherapie aufgeführt werden.
Es bleibt somit abzuwarten, inwieweit sich die Leitlinienempfehlungen für die Erstlinientherapie bei Patient:innen mit guten prognostischen Kriterien wandeln werden. Unzweifelhaft werden die Kombinationen ihren überragenden Stellenwert bei Patient:innen mit einer multiplen, rasch progredienten oder symptomatischen Metastasierung sowie bei sarkomatoider Komponente behalten.