Montag, 23. Dezember 2024
Navigation öffnen
JOURNAL ONKOLOGIE 10/2021
Seite 3/4

Therapie in der Primärsituation

Die Standardtherapie des GBM beinhaltet seit 2005 eine Kombination aus einer risikoadaptierten, maximalen Tumorresektion, gefolgt von der konkomitanten Radiochemotherapie (RCT) mit Temozolomid (Stupp-Protokoll nach EORTC 26981/22981) (Abb. 4) (20). Da der klinische Zustand der Patient:innen einer der relevantesten prognostischen Faktoren darstellt und ein potenzieller Zugewinn an Lebenszeit kaum eine Verschlechterung der Lebensqualität aufwiegen kann, kommt dem Vermeiden eines neuen neurologischen (therapieinduzierten) Defizits höchste Priorität zu.
 
Abb. 4: Therapiealgorithmus des Glioblastoms. Die Therapie des Glioblastoms umfasst zunächst die Biopsie und falls möglich die chirurgische Tumorresektion zur Diagnosesicherung und Resektion der kontrastmittelaufnehmenden Tumoranteile. Das weitere Vorgehen richtet sich insbesondere nach Alter, klinischem Zustand der Patient:innen und molekularen Markern. Bei jungen (< 70 Jahre alten) Patient:innen mit gutem KPS (≥ 70%) und MGMT-Promotor-methlyierten Tumoren kann eine erweiterte Radio­chemotherapie mit Temozolomid und Lomustin (CCNU) nach CeTeG/NOA-09 Protokoll durchgeführt werden. Ansonsten steht als Standardtherapie die Radiochemotherapie nach EORTC 26981/22981 zur Verfügung. Bei älteren morbiden Patient:innen (> 70 Jahre, < 70% KPS) ist das Vorhandensein einer MGMT-Promotor-Methylierung entscheidend für eine Bestrahlung oder Chemotherapie. Älteren Patient:innen mit gutem KPS sollte eine Chemotherapie auch bei unmethylierten Tumoren nicht vorenthalten werden. Bei Patient:innen mit einem niedrigen KPS ≤ 50% sollte frühzeitig eine vorrangig palliativmedizinische Therapie erwogen werden. KM=Kontrastmittel, KPS=Karnofsky-Performance-Score, MGMT=Methlyguanin-Methyltransferase, TMZ=Temozolomid, TTF=Tumor Treating Fields
Therapiealgorithmus des Glioblastoms

Chirurgische Tumorresektion

Ziel der chirurgischen Tumorresektion ist die komplette Resektion des kontrastmittelaufnehmenden Tumoran­teils. Eine solche Komplettresektion wurde in verschiedenen retrospektiven Studien mit kumulativ mehreren 10.000 Patient:innen mit einem verlängerten progressionfreien Überleben (PFS) sowie OS assoziiert (21). Verschiedene Hilfsmittel sind verfügbar, um Neurochirurg:innen bei der sicheren Tumorresektion zu unterstützen. Hierzu zählen insbesondere die Fluoreszenz-Markierung von Tumorzellen mittels 5-ALA (welches kurz vor der Operation in einer Dosierung von 20 mg/kg Körpergewicht p.o. verabreicht wird) (Abb. 2), die intraoperative Neuronavigation sowie unterschiedliche Arten der intraoperativen Bildgebung (beispielsweise die Sonographie oder die intraoperative MRT) (22). Liegt das GBM in enger Lagebeziehung zu eloquenten Hirnarealen ermöglichen das intraoperative Neuromonitoring oder die Wachkranio­tomie unter Sprachmonitoring eine unmittelbare Rückmeldung zur Bestimmung der funktionellen Resektionsgrenzen. Auch wenn nur ein Großteil, jedoch nicht der komplette kontrastmittelaufnehmende Tumoranteil entfernt werden kann, hat die chirurgische Therapie einen prognostischen Stellenwert (23). In jedem Fall ermöglicht sie jedoch eine feingewebliche Untersuchung und bildet somit die Basis für die weiterführende multimodale Therapie. Ob eine Resektion der Infiltrationszone über die Grenzen des kontrastmittelaufnehmenden Tumoranteils hinaus einen zusätzlichen onkologischen Effekt beinhaltet, ist aktuell Gegenstand der Debatte und wird von verschiedenen Studiengruppen (beispielsweise der RANO RESECT-Gruppe) untersucht (24).

Zwischenfazit

• Die maximale (sichere) Tumorresektion ist mit einer besseren Prognose assoziiert.
 

Lesen Sie mehr zu diesem Thema:

Li-Fraumeni-Syndrom: Ein trotz seiner Aggressivität häufig übersehenes Tumorprädispositionssyndrom

Erschienen am 10.10.2017Li-Fraumeni-Syndrom; autosomal-dominant vererbtes, hochaggressives und häufig bereits im Kindesalter zu Malignomen führendes Tumorprädispositionssyndrom...

Erschienen am 10.10.2017Li-Fraumeni-Syndrom; autosomal-dominant vererbtes, hochaggressives und häufig bereits im Kindesalter zu...

Standardtherapie nach EORTC 26981/22981

Die kombinierte RCT schließt sich im Rahmen der Standard-Therapiesequenz nach EORTC 26981/22981 (Stupp-Protokoll) an die chirurgische Resektion an und sollte 3-5 Wochen postoperativ beginnen (25). Das Bestrahlungsfeld beinhaltet typischerweise die Resektionshöhle, die angrenzende Signalalteration in T2/FLAIR-gewichteten MRT-Sequenzen (welches Ödem, postoperativen Veränderungen und nicht-kontrastmittelaufnehmendem Tumoranteil entspricht) sowie einen Sicherheitssaum von 1,0-2,0 cm (4). Besonders strahlensensible Bereiche wie das Chiasma opticum oder der Hippocampus werden dabei ausgenommen. Die Strahlentherapie wird in Dosen von 1,8-2 Gy täglich zu einer kumulativen Gesamtdosis von 50-60 Gy durchgeführt. Gleichzeitig erfolgt die tägliche Gabe von Temozolomid (75 mg/m2 KOF p.o.) vom ersten bis zum letzten Tag der Strahlentherapie. Das Nebenwirkungsprofil von Temozolomid beinhaltet vorrangig Nausea und Blutbildveränderungen, in selteneren Fällen allerdings auch psychiatrische Nebenwirkungen. Nach Abschluss der kombinierten RCT erfolgt eine Therapiepause von 6 Wochen mit erneuter MRT-Bildgebung zur Erfassung des Ausgangsbefundes und Ausschluss eines Frührezidivs. Die Fortführung der Erhaltungschemotherapie mittels Temozolomid wird standardmäßig für 6 Zyklen durchgeführt. Ein Zyklus umfasst 28 Tage. Die Einnahme von Temozolomid 150-200 mg/m2 KOF p.o. erfolgt an den Tagen 1-5. Klinische und bildmorphologische Verlaufskontrollen sollten unter und nach Abschluss der Therapie alle 3 Monate erfolgen. Im Rahmen der EORTC 26981/22981-Studie konnte durch das Hinzufügen der konkomitanten sowie adjuvanten Temozolomid-Therapie gegenüber einer alleinigen Strahlentherapie (dem historischen Standard) das OS von 12,1 Monate auf 14,6 Monate (HR für kombinierte Behandlung: 0,6; p=0,001) verlängert werden. Demgegenüber konnte für die Erhöhung der Temozolomid-Dosis (26) oder durch die Verlängerung des adjuvanten Therapieintervalls über 6 Zyklen hinaus kein zusätzlicher therapeutischer Nutzen bei deutlich gesteigerter Toxizität gezeigt werden (27).

Zwischenfazit

• Die Standardtherapie umfasst die kombinierte RCT und anschließende Erhaltungschemotherapie mit Temozolomid.
• Verlaufskontrollen mittels MRT sollten auch nach Abschluss der Erstlinientherapie alle 3 Monate erfolgen.

Neue Therapieprotokolle: CeTeG/NOA-09 und Tumor Treating Fields

Bei neu diagnostizierten GBM-Patient:innen mit gutem klinischen Performance-Status (Karnofsky Performance Score (KPS) ≥ 70%), einem methylierten MGMT-Promotor sowie einem Alter ≤ 70 Jahre kann basierend auf den Daten der deutschen CeTeG/NOA-09-Studie die Erweiterung der chemotherapeutischen Medikation um Lomustin erfolgen (28). Ebenso wie Temozolomid stellt Lomustin (CCNU) ein Alkylanz dar, wird während der Bestrahlung begonnen und anschließend als adjuvante Erhaltungstherapie fortgeführt. Gemäß der CeTeG/NOA-09-Studie erfolgt die kombinierte Gabe von 6 Zyklen CCNU/Temozolomid. Ein Zyklus umfasst 42 Tage. CCNU (100 mg/m2 KOF p.o.) wird an Tag 1, Temozolomid (100-200 mg/m2 p.o.) an den Tagen 2-6 eingenommen. Der erste Zyklus beginnt mit dem ersten Tag der Radiotherapie. Nach Abschluss der Bestrahlung wird in den Zyklen 2-6 die Temozolomid-Dosis schrittweise bis auf 200 mg/m2 KOF gesteigert, während die CCNU-Dosis unverändert bleibt. Durch die Kombination von CCNU mit Temozolomid ist nur ein moderater Anstieg relevanter Therapietoxizitäten gegenüber der alleinigen Therapie mit Temozolomid zu verzeichnen (CTCAE ≥ Grad 3: 51% vs. 59%), wobei in solchen Fällen die Behandlung durch Dosisreduktion häufig fortgeführt werden kann. Gleichzeitig stieg die OS-Rate in der CeTeG/NOA-09-Studie durch die kombinierte CCNU/Temozolomid-Behandlung von 31,4 Monaten auf 48,1 Monate (HR für kombinierte Behandlung: 0,6; p=0,0432). Dieser Therapieansatz beruht jedoch auf einer vergleichsweisen kleinen Kohorte von 141 Patient:innen und wird aufgrund des fehlenden Effekts auf das PFS kritisch reflektiert. Die Kombination CCNU/Temozolomid nach dem CeTeG-Schema ist daher bislang noch nicht als international gültige Therapieempfehlung etabliert.

Eine weitere innovative Therapieoption für Patient:innen in gutem klinischen Zustand (KPS ≥ 70%, Alter ≤ 70 Jahre) stellt die Anwendung von lokalen niederenergetischen Wechselstromfeldern (TTF) dar. Zur Erzeugung der Stromfelder ist ein tragbares, etwa Handtaschen-großes Medizinprodukt verfügbar, welches mit 4 der Kopfhaut anliegenden Keramik-Gel-Pads verbunden ist. Mit diesem wird ein konstantes Wechselstromfeld über einem individualisierten Hirnareal (welches das GBM bzw. die Resektionshöhe umfasst) aufgebaut. Pathophysiologisch wird durch die Applikation von Wechselstromfeldern ein mitotischer Arrest und Apop­tose in sich rasch teilenden GBM-Zellen postuliert, was zu einer Reduktion des Tumowachstums führt (29). Eine große prospektive Studie mit 695 Patient:innen konnte einen signifikanten OS-Vorteil durch das Hinzufügen von TTF zur alleinigen Chemotherapie-Erhaltungstherapie (20,9 Monate vs. 16,0 Monate; HR für TTF mit Erhaltungschemotherapie: 0,63; p=0,001) zeigen. Die Durchführung der TTF-Therapie stellt Patient:innen jedoch vor Herausforderungen, welche durchaus als einschränkend in der Lebensqualität empfunden werden können: die empfohlene Tragedauer des Geräts beträgt 18 Stunden täglich und kann zu einer etwaigen Stigmatisierung im Alltag führen. Die Heftpflaster erfordern die komplette Rasur der Kopfhaut und müssen alle 4 Tage erneuert werden. Das korrekte Anlegen der Pflaster auf der Kopfhaut erfordert die Hilfe eines Dritten, da die Keramik-Gel-Pads zur Erzeugung des Wechselstromfelds in Abhängigkeit der Ausdehnung und Lage des Tumors nach einem individuell geplanten Muster angebracht werden müssen. Eine lokale Haut­irritation wird regelmäßig beobachtet, ist jedoch nur selten therapielimitierend. Entsprechend muss gemeinsam mit dem/der Patient:in individuell beurteilt werden, ob die potenziellen Vorteile einer solchen Therapie den sub­stanziellen Aufwand rechtfertigen.

Zwischenfazit

• Die Intensivierung der Chemotherapie mit Temozolomid durch Zugabe von CCNU nach dem CeTeG-Protokoll verbessert die Prognose ausgewählter Patient:innen.
• Die Therapie mit alternierenden Wechselstromfeldern kann die Standardtherapie unterstützen und ist mit einem verlängerten OS assoziiert.

Therapien bei älteren oder fragilen Patient:innen

Bei (älteren) Patient:innen, die aufgrund eines fragilen klinischen Zustandes nicht geeignet sind für die Therapiesequenz nach EORTC 26981/22981, kommt dem Methylierungsstatus des MGMT-Promotors eine entscheidende Rolle in der Stratifizierung und Therapieplanung zu. Aus den Ergebnissen der NOA-08-Studie (373 Patient:innen ≥ 65 Jahre mit KPS ≥ 60%) und der Nordic-Studie (342 Patient:innen ≥ 60 Jahre mit WHO-Performance-Score 0-2) (30, 31) kann extrapoliert werden, dass GBM mit MGMT-Promotor-Methylierung mehr von einer Temozolomid-Chemotherapie als von einer hypofraktionierten Bestrahlung profitieren (ereignisfreies Überleben (EFS) in NOA-08: 8,4 Monate vs. 5,5 Monate). Demgegenüber profitieren Tumoren ohne MGMT-Promotor-Methylierung nicht von einer Temozolomid-Chemotherapie. Entsprechend wird im Falle eines unmethylierten MGMT-Promotors die hypofraktionierte Radiotherapie (kummulative Gesamtdosis 40 Gy in 15 Einzeldosen) favorisiert (EFS in NOA-08: 4,6 Monate vs. 3,3 Monate).

Basierend auf den NOA-08/Methusalem-Daten können Patient:innen ab dem 70. Lebensjahr anhand des MGMT-Status risikoadaptiert therapiert werden. Für ausgewählte Patient:innen > 70 Jahre mit einem sehr guten Allgemeinzustand und deutlich jüngerem biologischen Alter konnte auch die kombinierte Behandlung aus fraktionierter Radiotherapie plus konkommitantem und adjuvantem Temozolomid als verträgliches Konzept mit einem zusätzlichen therapeutischen Nutzen etabliert werden (32). Für Patient:innen mit einem KPS ≤ 50% ist altersunabhängig jegliche tumorspezifische Therapie aufgrund der sehr limitierten Prognose äußerst kritisch zu sehen. Eine frühzeitige Sicherung der häuslichen Versorgung sowie eine rasche palliativmedizinische Anbindung ist insbesondere bei solchen Patient:innen ratsam. Derzeit wird die Rolle einer frühzeitigen palliativen Begleitung von GBM-Patient:innen und deren Auswirkung auf den Krankheitsverlauf im Rahmen einer multizentrischen Studie in Deutschland evaluiert (33).

Zwischenfazit

• Bei alten oder fragilen Patient:innen kann bei methyliertem MGMT-Promotor eine alleinige Chemotherapie oder, bei fehlender MGMT-Promotor-Methylierung eine hypofraktionierte Radiotherapie erwogen werden. Ausgewählte Patient:innen in einem sehr guten klinischen Zustand können auch mit einer Kombination aus hypofraktionierter Bestrahlung und Temozolomid behandelt werden.
 

Sie können folgenden Inhalt einem Kollegen empfehlen:

"Diagnostik und Therapie des Glioblastoms: Molekulare Diagnosekriterien, Therapiekonzepte und innovative Behandlungsansätze"

Bitte tragen Sie auch die Absenderdaten vollständig ein, damit Sie der Empfänger erkennen kann.

Die mit (*) gekennzeichneten Angaben müssen eingetragen werden!

Die Verwendung Ihrer Daten für den Newsletter können Sie jederzeit mit Wirkung für die Zukunft gegenüber der MedtriX GmbH - Geschäftsbereich rs media widersprechen ohne dass Kosten entstehen. Nutzen Sie hierfür etwaige Abmeldelinks im Newsletter oder schreiben Sie eine E-Mail an: rgb-info[at]medtrix.group.