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JOURNAL ONKOLOGIE 12/2021
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Was die Patient:innen auch stets begleitet, ist die Rezidivangst, die eine Dauerbelastung sein kann. Vor einer Nachuntersuchung haben einige Patient:innen oft schlaflose Nächte. Es ist aber wenig hilfreich, wenn Patient:innen diese Termine aus Angst vor dem Befund nicht nutzen, denn mehrere Nachsorgetermine ohne Befund können Sicherheit geben. Das heißt, die Nachsorge kann für die Patient:innen auch eine positive Bestätigung sein.

Einige Patient:innen wollen oder können sich nicht mit der Krankheit auseinandersetzen. Verdrängung ist zeitweise auch eine Möglichkeit, mit der akuten Belastung umzugehen. Einige Betroffene machen jedoch die Erfahrung, dass eine Verarbeitung so nicht dauerhaft gelingt und sie von ihren Emotionen im Alltag überrascht werden. Es können z.B. körperliche Symptome oder Panikattacken auftreten.

Um die Patient:innen zu entlasten, ist der Beistand der Ärzt:innen und des medizinischen Personals erforderlich. Limitierender Faktor ist dabei jedoch oft die Zeit. Im ambulanten Bereich gestaltet sich das etwas einfacher, da die Patient:innen oft schon jahrelang Kontakt zu ihrer Ärztin/ihrem Arzt haben und mit diesen über ihre Ängste und Sorgen sprechen. In der Klinik haben viele Mitarbeiter:innen durch den Personalmangel leider häufig einfach zu wenig Zeit, mit den Patient:innen zu reden. Das ist ein großes Problem für die Patient:innen, da Fragen oftmals unbeantwortet bleiben, was sie verunsichert und sie sich noch hilfloser fühlen.

Die Krankheitsverarbeitung nach der Diagnose ist ein längerer Prozess, und die Auseinandersetzung mit der eigenen Situation läuft in verschiedenen Phasen ab. Für die meisten Patient:innen ist es erst einmal eine Schocksituation. Daher ist es wichtig, ihnen eine Perspektive und einen möglichst strukturierten Plan aufzuzeigen: wann gehen sie in die Klinik, wann werden sie operiert, wann kommen sie in die Rehaklinik und wie erfolgt die Nachsorge?

Die Unsicherheit, bis die weitere Vorgehensweise geklärt ist und Untersuchungsergebnisse feststehen, ist sehr belastend; viele Patient:innen können nicht schlafen, und auch das soziale Umfeld macht sich Sorgen. Es kann zu einer erlebten existenziellen Verunsicherung kommen. Die Patient:innen fragen sich, wie es weiter geht mit der Familie und mit der Arbeitsstelle oder auch einfach, wer die Enkelkinder aus dem Kindergarten abholt. Es ist für einige Patient:innen dann einfacher, sich über diese Dinge Gedanken zu machen, als sich mit der Angst vor dem Sterben und dem Tod auseinanderzusetzen. Jeder Mensch muss herausfinden, mit welcher Strategie er am besten klarkommt. Gerade zu Beginn müssen die Patient:innen durch das Erledigen bürokratischer Wege „funktionieren“, sodass die Erkrankung zunächst verdrängt bzw. nicht weiter verarbeitet wird. Die Auseinandersetzung damit geschieht dann oftmals nach der Therapie, in der Rehaklinik oder wenn man nach der Entlassung aus der Klink zuhause ist.

Auch die persönlichen Werte verändern sich für einige Betroffenen. So ist der Beruf, der vorher eine große Rolle gespielt hat, in manchen Fällen nicht mehr so wichtig. Es wird sozusagen neu sortiert, was wirklich im Leben zählt. Das kann auch ein ganz spannender Prozess sein und viel Kraft geben. Die psychische Belastung durch die Krebserkrankung muss daher nicht immer in einer Krise enden, sondern es kann durch die Erfahrungen aufgrund der Krankheit zu einer Neuorientierung und vielen Veränderungen im Leben kommen. Man wird mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert und macht nun Dinge, die man schon immer erleben wollte, und zwar jetzt und nicht erst morgen oder übermorgen oder wenn man in Rente geht. Selbstmitgefühl steht im Fokus. Bislang war möglicherweise zu wenig Zeit für sich selbst, was nun hinterfragt wird.  

Wie beraten Sie die Patient:innen zum Thema Therapie? Wie können die Ängste wegen einer Chemo­therapie und den mög­lichen Nebenwirkungen einer Krebs­thera­pie genommen oder zumindest reduziert werden?

Der Gedanke an eine Chemo- und Strahlentherapie macht vielen Pa­tient:innen Angst. Dazu gehört die Angst vor Nebenwirkungen der Therapie, z.B. dass die Haare ausfallen, sie unter anhaltender Übelkeit leiden oder aufgrund einer Polyneuropathie nicht sicher laufen können und ihre selbstständige Lebensführung aufgeben müssen. Die Ängste sind zudem auch darin begründet, dass die Patient:innen die Fakten und Informationen aufgrund der emotionalen Belastung zunächst nicht aufnehmen können. Es wird eine Diagnose gestellt und über den Ablauf der Therapie, die Nebenwirkungen und die Nachsorge gesprochen, die Patient:innen sind jedoch noch im Verarbeitungsprozess, beschäftigen sich erst einmal z.B. mit der Familie, und sind daher gar nicht aufnahmefähig für die Therapiemöglichkeiten. Die Aufgabe in der Psycho-Onkologie ist es nun, die Patient:innen in diesem Prozess zu unterstützen und zu begleiten.

Im Rahmen der psychologischen Beratung wird nachgefragt, wovor die Betroffenen Angst haben. Oftmals helfen Informationen, diese Ängste zu bewältigen. Es ist hilfreich, den Patient:innen mitzuteilen, dass eine Therapie auch abgebrochen werden kann. Oder dass es bei Angst vor Übelkeit Medikamente gibt, die bereits prophylaktisch gegeben werden können. Die Patient:innen sollen generell nicht zu einer Therapie überredet werden. Wichtig sind seriöse Informationen. Wenn die Entscheidungen, was die eigene Therapie angeht, darauf basieren, was z.B. in Foren geschrieben wird, ist das dagegen nur selten hilfreich, im Gegenteil. Umso wichtiger ist das Gespräch mit den Ärzt:innen und Psycholog:innen.

Welchen Beitrag können Familie und das soziale Umfeld leisten?

Viele Patient:innen trauen sich nicht, Bekannte oder Nachbarn zu fragen, ob diese evtl. für sie mitkochen und Einkäufe tätigen könnten, um niemandem zur Last zu fallen. Die Patient:innen sollten aber dahingehend motiviert werden, nach Hilfe zu fragen, denn Freunde und Bekannte möchten oftmals unterstützen und etwas tun. Natürlich kann es passieren, dass die Bitte abgelehnt wird. Doch das sollte nicht als Kränkung angesehen werden. Es ist wichtig, sich davon frei zu machen, was andere vielleicht denken. Natürlich ist es in so einer Situation nicht immer einfach, das so pragmatisch zu sehen, aber ein Perspektivwechsel hilft manchmal ungemein.

Welche Strategien können den Pa­tient:innen zur Entlastung empfohlen werden?

Ich gebe den Patient:innen manchmal „Hausaufgaben“, um die Zeit, in der sie sich belastet fühlen, konstruktiv zu nutzen. Sie können beispielsweise ambulante Unterstützungsangebote, z.B. Therapeut:innen für ambulante Psychotherapie in Wohnortnähe suchen. Eine weitere Empfehlung ist, z.B. nach jeder Mahlzeit spazieren zu gehen, das ist auch mit dem Infusionsständer auf dem Krankenhausflur möglich. Bewegung ist eine körperliche Entlastung und damit eine äußerst wichtige Technik, um die Gedanken zu sortieren und um die Angst und die daraus resultierende Anspannung zu reduzieren. Spazieren gehen und Aufenthalte in der Natur hören sich banal an. Studien haben aber gezeigt, dass Bewegung bei Niedergeschlagenheit oder leichten Depressionen den gleichen Therapieerfolg hat wie eine medikamentöse Therapie. Bewegung hat grundsätzlich einen positiven Effekt und ist für die meisten gut umsetzbar. Es geht nicht um eine bestimmte Distanz, die zurückgelegt werden muss, sondern darum, sich überhaupt zu bewegen – und das tut den Patient:innen in der Regel sehr gut.

Anspannung kann auch durch geeignete Entspannungsverfahren wie autogenes Training, Yoga, Atem­übungen oder Fantasiereisen abgebaut werden. Dies können Patient:innen in der Klinik lernen. Im ambulanten Bereich empfehle ich den Patient:innen Präventionskurse, die von den Krankenkassen angeboten werden. Es gibt inzwischen auch viele Online-Angebote, die die Teilnehmer:innen gut durch das Training leiten. Auf diese Weise können die Patient:innen ihre Psyche, ihre Kraft und ihr Immunsystem selbst aktiv stärken, statt die Energie dafür zu nutzen, sich darüber Gedanken zu machen, wen sie durch ihre Krankheit belasten könnten.

Der Stressabbau durch verschiedene Übungen hilft enorm dabei, das Gefühl des Ausgeliefertseins und Kontrollverlustes zu verarbeiten. Für Patient:innen, die selbst etwas tun können, kann das ein großer Motivationsschub sein. Es kann helfen, die Bewältigung der Situation damit eher als eine Herausforderung als eine Belastung zu betrachten.

Generell gibt es kein Patentrezept im Umgang mit Krebs und der Angst aufgrund der Erkrankung. Die Angst bleibt: vor Routineuntersuchungen oder vor einem Rezidiv, und dass man eine Sicherheit im Leben verloren hat. Wichtig ist daher vor allem, Lebensfreude, Achtsamkeit und Selbstmitgefühl zu fördern.

Das gelingt durch eine individuelle Beratung, wobei diese oftmals leichter angenommen wird, wenn die Gespräche mit einer neutralen Person geführt werden. Denn kaum jemand möchte zu Familie, Angehörigen und Freunden sagen, dass man Angst vor dem Sterben hat. Das führt oft dazu, dass die Patient:innen dann ihre Angehörigen trösten müssen, wofür sie jedoch keine Kraft haben.

Wie gestaltet sich die psychologische Betreuung von Patient:innen in der Palliativsituation?

Wenn die Patient:innen erfahren, dass sie nur noch wenige Monate zu leben haben, ist das natürlich ein schmerzliches Gespräch. Die Betroffenen sind traurig, weinen und erzählen dann oft aus ihrem Leben. Es sind immer sehr interessante Lebensgeschichten und Strategien, die die Menschen anwenden, um mit der Situation umzugehen. Den meisten Patient:innen gelingt es, diese Situation zu akzeptieren, wobei die Verarbeitung auch in der palliativen Situation phasenweise unterschiedlich verläuft, was sich dann manchmal gegen die engsten Familienmitglieder richten kann. Es kann auch eine Belastung für Sterbende sein, wenn die Angehörigen nicht loslassen können. Daher sollte der Rat der behandelnden Ärzt:innen, was aus medizinischer Sicht in dieser Situation sinnvoll ist, angenommen werden.

Die Patient:innen sollten sich auch trauen, mit den Angehörigen zu sprechen und ihre Wünsche und Ängste – oft sorgen sich die Betroffenen vor allem darüber, was aus ihrer Familie wird – zu äußern oder wenn das Gespräch zu schmerzhaft ist, ihre Gedanken ggf. aufzuschreiben. In einer palliativen Situation ist der Wunsch nach Schmerzfreiheit für die Betroffenen und deren Angehörige oftmals am wichtigsten. Geht es den Betroffenen körperlich schon sehr schlecht, sind die Ressourcen der Angehörigen gefragt. Das können u.a. soziale Ressourcen wie Freunde und Familienmitglieder oder auch religiöse Ressourcen sein.

Grundsätzlich ist die Situation meist mit Trauer und Verlust verbunden. Es gibt keine Garantie dafür, dass diese Zeit schmerzfrei und ohne Probleme für die Angehörigen ist. Dass die betroffenen Menschen – Patient:innen sowie deren Angehörige – traurig sind , kann aus meiner Sicht als Zeichen für eine gute Beziehung zu Familie und Freunden gewertet werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

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