MHC-I-Moleküle: Essentiell für die Immunüberwachung
Zellen kann man ihren Gesundheitszustand quasi an der Nasenspitze ansehen: Sie präsentieren auf ihrer Oberfläche Bruchstücke fast aller Proteine, die sie in ihrem Inneren enthalten. Das Immunsystem kann so direkt erkennen, ob eine Zelle von einem Virus infiziert oder durch eine Mutation auf gefährliche Weise verändert wurde. Für die Präsentation der Bruchstücke sind zahllose molekulare „Funkmasten“ verantwortlich, die MHC-I-Moleküle. Sie werden im Zellinnern zusammengebaut und dann zur Membran transportiert. Dort werden die Masten so verankert, dass sie mitsamt ihrer Fracht nach außen weisen. Das Immunsystem verfügt über Einheiten, die ständig im Körper auf Patrouille gehen. Wenn diese Spezialkräfte bei ihrer Kontrolle der MHC-I-Funkmasten schädliche Moleküle entdecken, töten sie die entsprechende Zelle ab. Die Masten selbst dürfen allerdings nicht defekt sein; sonst besteht die Gefahr, dass dieser Mechanismus nicht funktioniert und kranke Zellen dem Immunsystem entgehen.
Qualitätskontrolle bei Proteinproduktion: IRGQ als neuer Schlüsselrezeptor
Zellen produzieren rund um die Uhr eine Vielzahl von Proteinen, die sie für ihre Funktion benötigen. Kommt es dabei zu Fehlern, werden die betroffenen Moleküle in der Regel aussortiert. Die defekten Proteine werden dabei von speziellen Rezeptoren erkannt. Diese sorgen dafür, dass die fehlerhafte Verbindung in eine Art Mini-Müllbeutel verpackt und später zerlegt wird. „Wir haben in unserer Studie nach noch unbekannten Rezeptoren gesucht und sind dabei auf ein Protein namens IRGQ gestoßen“, sagt Dr. Herhaus. „Es ist spezifisch für die Qualitätskontrolle der MHC-I-Funkmasten verantwortlich.“
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IRGQ-Verlust verstärkt Immunantwort gegen Tumorzellen und verbessert Überlebenschancen
Die Forschenden haben durch einen genetischen Eingriff die Produktion von IRGQ unterbunden. In der Folge häuften sich in den Versuchszellen defekte Funkmasten an. Diese wurden zudem zum Teil in die Zellmembran eingebaut, zusammen mit ihren funktionsfähigen Pendants. „Eigentlich würde man erwarten, dass Zellen ohne IRGQ eine schwächere Immunantwort auslösen – doch dem ist offenbar nicht so: Wir haben verschiedene humane Tumoren analysiert und festgestellt, dass weniger IRGQ mit einer besseren Überlebens-Rate von Patienten mit Leberkrebs assoziiert war“, erklärt Prof. Ivan Đikić vom Institut für Biochemie II, der gemeinsam mit Dr. Herhaus die Studie geleitet hat. Die Daten aus den Patienten ließen sich auch in einem experimentellen Leberkrebs-Mausmodell bestätigen: In Tieren ohne IRGQ attackierte das Immunsystem die Tumorzellen deutlich heftiger als normalerweise. Die entsprechenden Nager überlebten den Krebs daher bedeutend länger.
IRGQ als potenzielles Therapieziel bei verschiedenen Krebsarten
Zumindest für Leberzellkarzinome – die Krebserkrankung, die weltweit am zweitmeisten Todesopfer fordert – könnte IRGQ demnach eine Zielstruktur für neue Medikamente darstellen. „Fest steht, dass wir hier einen neuen Mechanismus gefunden haben, wie Tumorzellen dem Immunsystem entgehen können. In weiterführenden Studien werden wir nun den Einfluss von IRGQ auf andere Krebsarten überprüfen“, betont Đikić. „Unsere Erkenntnisse könnten künftig genutzt werden, um neue Therapien gegen Leberkrebs zu entwickeln. Beispielsweise könnten wir IRGQ medikamentös abbauen und dadurch die Immunreaktion gegen den Krebs stimulieren.“