Tumorentstehung – Ein evolutionärer Prozess
Wie entwickelt sich eine normale Zelle im Körper zu einer aggressiven Krebszelle? Nach dem zentralen Tumormodell entwickelt sich Krebs in einem evolutionären Prozess. Häufen sich zufällig verteilte Mutationen in Krebsgenen in einzelnen Zellen an, stört dies allmählich die Zellteilung, bis die Kontrollprogramme aus dem Ruder laufen. Diese Zellen teilen sich schneller als ihre Nachbarzellen, was zu einer unkontrollierten Vermehrung führt – die sogenannte klonale Expansion von mutierten Zellen. Obwohl das Gewebe oberflächlich normal erscheint, ist dieses abnorme Zellwachstum die erste von 2 Hauptphasen der Tumorentstehung.
Spezielles Genprogramm treibt Krebsentwicklung an
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung von Ataman Sendöl vom Institut für Regenerative Medizin der Universität Zürich (UZH) hat nun die Krebsentstehung in Epithelzellen genauer untersucht. Epithelien sind die oberste Zellschicht der Haut sowie der Schleimhäute in
Speiseröhre,
Blase oder
Dickdarm. Die Forschenden haben herausgefunden, dass ein zelluläres Signalprogramm nicht nur als allgemeiner Treiber für klonale Expansionen in Epithelien fungiert. Es trägt auch dazu bei, dass Zellen empfänglicher für die Tumorentstehung werden und löst invasive Eigenschaften in Hautstammzellen aus (1). „Unsere Ergebnisse zeigen, dass das TNF-α-Signalprogramm eine Hauptrolle bei der Umwandlung normaler Epithelzellen in bösartige Krebszellen während den zentralen Phasen der Krebsentstehung spielt", sagt Sendöl.
Klonale Expansionen wurden traditionell als Vorläufer von Krebs angesehen. Die mutierten Zellklone können große Bereiche eines Gewebes übernehmen und so ganze Organe umgestalten. Neuere Forschungen haben jedoch ein komplexeres Bild ergeben: Klonale Expansionen sind in alternden Epithelien des Menschen erstaunlich häufig, jedoch nicht immer schädlich. Manchmal können sie sogar dazu beitragen, Tumore zu verhindern.
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150 Krebsgene im gesamten Epithelgewebe analysiert
Um herauszufinden, warum sich nur bestimmte Klone von Epithelzellen in bösartige Tumore verwandeln, untersuchten die Forschenden Krebsarten des Epithels genauer – insbesondere das
Plattenepithelkarzinom, den zweithäufigsten bösartigen Hauttumor. Sie entwickelten eine CRISPR-Technik, mit der sie präzise die klonale Expansion von einzelnen Zellen im gesamten Epithelgewebe dokumentieren konnten. „Wir konzentrierten uns auf die 150 am häufigsten mutierten Krebsgene in Epitheltumoren. Indem wir ein Profil aller aktiven Gene erstellten, verfolgten wir die Entwicklung der Zellen während der klonalen Expansion und der Krebsentstehung für jeden Zelltyp", sagt Sendöl. Es handelt sich dabei um die größte Studie ihrer Art, die systematische Erkenntnisse dazu liefert, wie im menschlichen Körper Mutationen in Krebsgenen das Verhalten der Zellen verändern.
Das Team identifizierte dabei ein spezielles TNF-α-Programm: einen Signalweg, der eine entscheidende Rolle bei Entzündungen und der zellulären Kommunikation spielt. Während der klonalen Expansion in normalen Epithelien stammen die TNF-α-Signale von Immunzellen – etwa Makrophagen – aus der Umgebung. So tragen sie zur Vermehrung von jenen Zellen bei, die Krebsgenmutationen angesammelt haben. Sobald diese zu viele Treibermutationen anhäufen, beginnt ihre bösartige Verwandlung und der Tumor entsteht. „Interessanterweise beginnen einige der Krebszellen während der Krebsentstehung, ihr eigenes TNF-α zu produzieren, was ihre Invasion in das umliegende Gewebe fördert. Damit startet die 2. Hauptphase der Tumorentstehung", erklärt Peter Renz, Postdoktorand und Ersttautor der Studie.
Neue Möglichkeiten für Früherkennung und Behandlung
Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der klonalen Expansion in normalem Gewebe und jener in Tumoren zu verstehen, könnte den Forscher:innen zufolge zu neuen Strategien für die Früherkennung, Prävention und Behandlung dieser Tumorarten führen. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Beeinflussung des krebsspezifischen Arms der TNF-α-Signalübertragung ein vielversprechender Ansatz für die Behandlung von Patienten mit Epithelkarzinomen sein könnte", betont Sendöl. Das krebsspezifische TNF-α-Signalprogramm korreliert auch mit der Aggressivität der Tumore: Je aktiver es ist, desto geringer sind die Überlebenschancen der Patient:innen. Die Aktivität des Signalprogramms könnte daher auch als Biomarker dienen, um die Prognose von Patient:innen mit Epithelkarzinomen zu beurteilen.
(1) Renz PF et al. (2024): In vivo single-cell CRISPR uncovers distinct TNF-α programs in clonal expansion and tumorigenesis. Nature. DOI: 10.1038/s41586-024-07663-y.