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Thymom und Myasthenia gravis – Diagnose, Therapie und Umgang mit Begleiterkrankungen

Antje Blum, Dr. med. vet. Astrid Heinl und Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr

Thymom und Myasthenia gravis – Diagnose, Therapie und Umgang mit Begleiterkrankungen
© iStock/grafikazpazurem
Thymusepitheltumoren machen weniger als 1% aller malignen Neoplasien bei Erwachsenen aus. Bis zu 40% der Patient:innen weisen zusätzlich zum Tumor eine damit assoziierte Autoimmunerkrankung auf: die Myasthenia gravis. Mit welchen Einschränkungen müssen Patient:innen nach einer Thymektomie rechnen? Welche Symptome weisen auf ein Thymom und Myasthenia gravis hin? Und wie beeinflussen sich das Thymom und Myasthenia gravis gegenseitig? Prof. Dr. Dr. Wolfgang Jungraithmayr von der Klinik für Thoraxchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg liefert einen Überblick über diese seltene Entität und beantwortet die drängendsten Fragen.
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Was erwartet Sie in der 1. Folge der 3. Staffel des Podcasts O-Ton Onkologie?

Dies sind die Highlights (Minuten:Sekunden)
 
  • 02:15 Mit welchen Einschränkungen müssen Patient:innen nach einer Thymektomie rechnen?
  • 05:35 Welche Symptome verursacht ein Thymom zu Beginn seiner Genese?
  • 07:39 Welche weiterführende Diagnostik wird bei Verdacht auf ein Thymom erforderlich?
  • 09:35 Behandlung des Thymoms: Einteilungen – Klassifikationen – Leitlinien
  • 12:05 Zielgerichtete, immuntherapeutische Möglichkeiten beim Thymom
  • 14:00 Fortschritte der minimalinvasiven, Roboter-assistierten Chirurgie am Beispiel der modernen Thymektomie
  • 18:05 Thymom und Myasthenia gravis: Wechselwirkungen und Verknüpfungen der Krankheitsbilder
  • 22:00 Weitere Begleiterkrankungen des Thymoms: Lupus erythematodes und rheumatoide Arthritis
  • 25:05 Thymom-Patient:innen weisen generell eine gute Prognose auf
  • 27:53 Podcastempfehlungen von Prof. Dr. Dr. Jungraithmayr

Hören Sie rein!

O-Ton Onkologie – der Podcast für Mediziner:innen · Das Thymom – Diagnose, Therapie und Umgang mit Begleiterkrankungen
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Shownotes zur Podcast-Folge „Thymom und Myasthenia gravis – Diagnose, Therapie und Umgang mit Begleiterkrankungen“

  Podcastempfehlungen von Prof. Dr. Dr. Jungraithmayr:
 
Dieser Podcast ist eine Kooperation zwischen dem JOURNAL ONKOLOGIE und der Medical Tribune Onkologie/Hämatologie. Abonnieren Sie uns, wenn Ihnen der Podcast gefällt. Neue Folgen gibt es alle 14 Tage mittwochs.

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Transkript zur Podcastfolge „Thymom und Myasthenia gravis – Diagnose, Therapie und Umgang mit Begleiterkrankungen“

(Es gilt das gesprochene Wort.)

O-Ton: Die Prognose ist beim Thymom generell gut. Die Therapiemöglichkeiten sind gut. Die Prognose ist gut – einziges kleines Negativum ist, dass wir es mit einem seltenen Tumor zu tun haben und dementsprechend haben wir auch sehr, sehr wenige prospektive, gute randomisierte Studien – sehr wenig.

Intro: O-Ton Onkologie – der Podcast für Mediziner:innen. Hier wird alles besprochen, was mit Krebs zu tun hat.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Herzlich willkommen bei O-Ton Onkologie, dem Podcast für Mediziner:innen. Mein Name ist Dr. med. vet. Astrid Heinl. Ich bin die stellvertretende Chefredakteurin des Journal Onkologie in Regensburg. Mir digital zugeschaltet ist die Chefredakteurin Antje Blum. Hallo Antje.

Antje Blum: Hallo Astrid.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Heute beschäftigen wir uns mit einer eher seltenen Entität: nämlich dem Thymom. Thymus-Tumoren machen weniger als 1% aller malignen Neoplasien bei Erwachsenen aus. 30 bis 40% der Patient:innen, die ein Thymom haben, haben dann zu allem Überfluss auch zusätzlich noch eine damit assoziierte Autoimmunerkrankung: die Myasthenia gravis.

Antje Blum: Und es gibt genauso den umgekehrten Fall, nämlich dass bis zu 15% der Patient:innen mit einer Myasthenia gravis dann oft als Zufallsbefund erfahren, dass sie auch noch ein Thymom haben. Über diesen Themenkomplex wollen wir mit Professor Dr. Wolfgang Jungraithmayr von der Klinik Thorax Chirurgie am Universitätsklinikum Freiburg sprechen. Prof. Jungraithmayr hat in Journal Onkologie bereits mehrere Beiträge zu dieser Thematik veröffentlicht. Daher kennen wir uns schon ein Weilchen, aber heute sprechen wir uns erstmals persönlich. Das freut uns natürlich. Herzlich willkommen, Herr Prof. Jungraithmayr. Schön, dass Sie heute digital bei uns sind.

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Hallo, Frau Blum. Hallo, Frau Dr. Heinl. Herzlichen Dank für die Einladung.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Sehr gern. Wir freuen uns wirklich, nach dem ja schon längerem Kontakt auch mal ein persönliches Gespräch. Da kann ich mich Frau Blum nur anschließen. Und als erstes würde mich also eine allgemeine Frage zum Thymus interessieren. Es ist ja ein zentrales lymphatisches Organ und auch von Bedeutung für die Selektion von T-Lymphozyten. Wie gut kommt man denn ohne dieses Organ durchs Leben, falls der Thymus im Rahmen einer Thymektomie entfernt werden muss.

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Der Thymus wird vor der Geburt in einer gewissen embryonalen Phase angelegt und ist, wie Sie schon sagten, für die Reifung vom Immunsystem letztlich verantwortlich. Seine Hauptphase, seine Hauptaktivität, hat die Thymusdrüse im jungen Kindesalter und ist weitestgehend abgeschlossen nach der Pubertät. Wie Sie bereits erwähnten, ist die T-Zell-Reifung äußerst wichtig für ein funktionierendes und intaktes Immunsystem. Sobald die Thymusdrüse ihre Arbeit getan hat, – das ist im jungen Erwachsenenalter – involutioniert der Thymus. Das heißt intaktes und aktives Epithel, was zuvor eine richtige Selektion, eine positive und negative Selektion der T-Lymphozyten durchgeführt hat, wandelt sich um, weitestgehend in Fettgewebe, so dass wir es zu fast 100% nur noch aus Fettgewebe innerhalb der Thymusdrüse zu tun haben. Man kann also davon ausgehen, dass im Laufe des Lebens nach dem 20. Lebensjahr etwa – im 18. bis 20. Lebensjahr – das Rest-Thymusgewebe keinerlei gesundheitliche Risiken für den Menschen mehr bergen, außer das Epithel vermehrt sich wieder und verändert sich wieder. Und dann können wir – wir werden noch darauf zu sprechen kommen – es mit verschiedenen Krankheitszuständen zu tun bekommen.

Antje Blum: Wir sprechen ja heute über die Thymome, das sind seltene Tumoren. Und um das einmal kurz einzuordnen: Es handelt sich bei ihnen um eine Unterkategorie der Thymusepitheltumoren, also kurz TETs. Weitere Unterarten dieser TETs wären noch das Thymuskarzinom und der neuroendokrine Thymus-Tumor, die jeweils eine andere Pathologie haben. Also, wir sprechen heute über das Thymom, weil das Thymom bei dieser seltenen Entität der am häufigsten vorkommende Subtyp ist. Bevor ich jetzt meine eigentliche Frage stelle, würde mich interessieren, wie viele Thymome Sie und Ihre Kolleg:innen pro Jahr sehen.

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Insgesamt sehen wir zwischen 40 und 50 Patienten mit einem Thymom. Die meisten von diesen Patienten operieren wir minimal invasiv, Roboter-assistiert, weit über 95%, welche wir nicht unmittelbar operieren und wo wir die Patienten, wo den Patienten keine unmittelbare Indikation stellen. Da gibt es vielfältige Gründe dafür: der Wunsch des Patienten, andere Erkrankungen des Patienten, die es nicht erlauben, das Risiko einer Operation auf sich zu nehmen, oder andere Faktoren. Wir betreuen sehr viele, etwa doppelt so viele Patienten nach. Und die reine Zahl an Thymektomien, die wir durchführen, die beläuft sich pro Jahr auf 30 bis 40.

Antje Blum: Das Thymom ist bei Myasthenia-gravis-Patient:innen oft ein Zufallsbefund. Das heißt ja, dass die Patient:innen wegen der Myasthenie-Symptome beim Arzt sind – die können ja gravierend sein –, während aber das Thymom offenbar keine expliziten Symptome oder zumindest keine, die sich davon unterscheiden, verursacht. Daher die Frage: Ist ein Thymom anfangs oft symptomlos?

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Ein Thymom – wie ich schon erwähnte – entsteht aus den Epithelzellen der Thymusdrüse und das Thymom selbst ist am Anfang sehr, sehr klein und verursacht überhaupt keine Symptome. Sobald sich Symptome bemerkbar machen, handelt es sich bereits um eine Raumforderung, die sicher eine kritische Größe bereits erreicht hat. Ich sage jetzt mal einfach ‘ne Mandarinen-Größe. Dann kann der Patient Symptome entwickeln, wie etwa Druck hinter dem Brustbein, ein möglicherweise auch durch Druck auf benachbarte Gewebe, Strukturen wie die Speiseröhre oder die Luftröhre, zuweilen Luftnot, zuweilen Schluckstörungen. Zuweilen, auch wenn da die unmittelbare Nähe zum Herzen besteht, können zuweilen auch Herzrhythmusstörungen auftreten. Aber das häufigste ist doch der Druck und möglicherweise auch ein gewisses Schmerzempfinden. Das sind die Patienten, die einen, primär ein Thymom haben. Und wir wissen, dass Patienten, die ein Thymom haben und eine Veränderung der Thymusdrüse da ist, ein gewisser Prozentsatz auch ein Myasthenie entwickelt. Umgekehrt: Patienten, die aufgrund neurologischer Beschwerden eine Myasthenie entwickelt haben und neu diagnostiziert bekommen haben, haben eine Veränderung des Thymus. Das heißt, bei denen liegt zumindest eine Vergrößerung und Vermehrung der Zellen, eine Vergrößerung der Zellen vor oder zuweilen auch ein Thymom. Also der Hauptunterschied besteht darin, dass Patienten mit Myasthenie eine gravierende neurologische Symptomatik haben. Wir kommen später noch darauf zu sprechen. Das führt zur erweiterten Diagnostik, nämlich einer Bildgebung des Brustraumes und des Mittelfellraumes. Umgekehrt haben Patienten, bei denen ein Thymom diagnostiziert wird, primär wenig Symptome. Erst wenn es eine kritische Größe erreicht, dann sehen wir mit der gegebenen bildgebenden Diagnostik bereits einen fortgeschrittenen Tumor.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Stichwort: Diagnostik. Es wurde ja vorhin schon mal kurz erwähnt, dass Thymome oft nur zufällig zum Beispiel bei einem Routine-Röntgen entdeckt werden. Welche weiterführende Diagnostik erfolgt bei Verdacht auf ein Thymom, da ja auch eine radiologische Unterscheidung zwischen Thymusmalignom, Hyperplasie, Teratom usw. oft schwierig ist?

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Wie Sie richtig sagten, ist das erste bildgebende Werkzeug sozusagen das Röntgenübersichtsbild des Thorax. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass im Röntgenbild auch erst ein Tumor oder eine Raumforderung ab einer bestimmten kritischen Größe gesehen wird. Dann verbreitet sich quasi das Mediastinum auf eine – sagen wir – ungewöhnliche Konfiguration und man wird aufmerksam darauf. Ist es noch so klein – nochmal wie eine Mandarine zum Beispiel – dann lässt sich das zuweilen nicht erkennen. Dann muss man sich an der Symptomatik des Patienten orientieren, bzw. wenn man mit dem Röntgenbild nicht weiterkommt, ist der State of the Art oder der Standard das Kontrastmittel-CT des Thorax. Hat man dieses durchgeführt und erkennt eine, eine gut umschriebene Raumforderung, so reicht in der Regel zumindest dieses bildgebende Mittel. Haben wir es dann aber mit einem Tumor zu tun, der sich nicht klar abgrenzt von benachbarten Strukturen, wo also ein Hinweis darauf besteht, dass dort Teile des Tumors oder der Tumor im Gesamten benachbarte Strukturen, Organe, vor allem auch die großen Gefäße und das Herz, was in der Nähe ist, infiltriert, so ist zuweilen die Indikation für eine Magnetresonanztomographie gegeben. Das gehört zur Primärdiagnostik. Das ist eigentlich ausreichend, um die nächsten Schritte diagnostisch therapeutisch einzuleiten.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Wie wird ein Thymom behandelt? Wird grundsätzlich ein chirurgischer Eingriff durchgeführt oder erfolgt auch eine Orientierung anhand der WHO-Klassifikation, die Thymome in unterschiedliche Grade einteilt? Oder gibt es eine Leitlinie für die Therapie von Thymusepitheltumoren?

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Es gibt inzwischen verschiedene Einteilungen und Klassifikationen und wir sprechen beim Thymom letztlich auch von einem mindestens malignen Tumor und alle Tumoren werden nach dem TNM-System eingeteilt. Letztlich entscheidend aber für die Stadienbestimmung und auch für die Therapie ist die WHO-Klassifikation sowie die histologische Klassifizierung mithilfe der Masaoka-Koga-Einteilung. Haben wir es mit einem Thymom nun im Stadium 1, das heißt komplett enkapsuliert zu tun, so kann das, dieses komplett entfernt werden. Meistens handelt es sich dabei – auch wenn das nicht mit letzter Sicherheit vorher gesagt werden kann – aber meistens handelt es sich dabei um ein frühes Stadium. Die WHO teilt die Thymome in verschiedene histologische Typen ein. A: früher histologischer Typ, C: Karzinom. Dazwischen haben wir AB, B I, B II, B III und da innerhalb dieser Entitäten ist die Histologie unterschiedlich, aber auch die Aggressivität des Tumors. Die Deutsche Krebsgesellschaft hat eine Leitlinie für die Behandlung des Thymoms herausgegeben, die sich mehrheitlich an den Empfehlungen und den Guidelines der International Association of Lung Cancer, der IASLC sowie der ITMIC der International Thymic Malignancy Interest Group orientiert. Beide bestimmen und definieren das Masaoka-Stadium als das entscheidende Kriterium für die Therapie. Masaoka-Stadium I bedeutet, der Tumor, wie anfangs gedacht, ist enkapsuliert, kann chirurgisch entfernt werden, ohne weitere Therapie. Stadium II bedarf der Strahlentherapie, da der Tumor, das Thymom, die Kapsel verlässt und das umgebende Fettgewebe infiltriert. Und ab Stadium III, IV kommt in der Regel die multimodale Therapie zum Tragen.

Antje Blum: Werden denn die Thymome auch zielgerichtet und durch Immuntherapie behandelt?

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Wenn auch nur wenige, aber einige zielgerichtete Therapie-Angriffspunkte in der Tat, aber die Immuntherapie hatte in den letzten Jahren einen großen Erfolg gebracht, und im Zuge dessen, dass ein sehr großer Teil aller epithelialer Thymus-Tumoren – zum Beispiel PD-L1 oder P1 – exprimieren, werden auch entsprechend Immuncheckpoint-Inhibitoren, zum Beispiel Pembrolizumab, aber auch Avelumab und Nivolumab erfolgreich eingesetzt – zum Teil in Kombination mit einem Tyrosinkinase-Inhibitor oder ein Multikinase-Inhibitor, aber auch in einer Monotherapie. Die meisten von diesen Phase-1-, Phase-2-Studien sind auf dem Weg, werden gerade durchgeführt, einige sind abgeschlossen und zeigen eine vielversprechende Wirkung. Wichtig hierbei ist zu wissen, dass diese Art der Therapie – oder zum Teil Kombinationstherapie –, beim Thymuskarzinom vor allem Anwendung finden soll – nicht so sehr beim Thymom. Denn Thymome sind hoch immunogen und sorgen für eine hohe Rate an Adverse Events, also an Nebenwirkungen, unter denen die Patienten zum Teil so schwere Nebenwirkungen erlitten haben, dass sie gestorben sind. Daher die Empfehlung, es vor allem nach dem jetzigen Kenntnisstand vor allem Patienten mit einem Thymuskarzinom zu Gute zukommen zu lassen und Thymome nur im Rahmen von ausgewählten Fällen oder sozusagen off-label im Rahmen von Tumor-Beute-Entscheidungen durchzuführen.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Die chirurgische Entfernung des Tumors stellt dann ja den Hauptpfeiler der primären Therapie dar. Können Sie die Fortschritte der minimalinvasiven, zu der Video- und Roboter-assistierten Chirurgie skizzieren. Sie hatten es ja kurz schon mal erwähnt: Roboter-assistierte Chirurgie. Und wie operieren Sie in Ihrer Klinik? Watts oder Raz?

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Traditionell und so hat die Resektion der, der Thymome und die Thymusdrüsenentfernung eigentlich begonnen, wurde – wie schon kurz angesprochen – über eine Spaltung des Brustbeins, also eine Sternotomie, eine mediane Sternotomie durchgeführt. Das hat man sehr viele Jahre gemacht. Das ist eine sehr lange Geschichte. Der große Vorteil damals von diesem Zugang ist gewesen, dass man eine sehr, sehr gute Übersicht hatte über den Situs und man den Thymus komplett entfernen konnte. Man hat also sämtliche, die möglicherweise residual vorhanden waren, sämtliche Gewebeanteile entfernen können. Idealerweise wird die Thymusdrüse enkapsuliert, also eingekapselt in toto entfernt. Das gilt für die Indikation einer Thymektomie bei einer Myasthenie wie beim Thymom – bei beiden muss komplett der gesamte Thymusdrüse entfernt werden – mitsamt der Kapsel. Der Unterschied beim Thymom ist, dass hier noch mindestens Binde- und Fettgewebe aufgrund ektoper kleiner Thymus-Inseln, -drüsen-Inseln vorliegen, kann diese auch mit entfernt werden. Beim Thymom müssen zusätzlich die Lymphknoten entfernt werden. Bei den Indikationen für die Myasthenie reicht die komplette Resektion des Thymus. Wichtig bei der Entfernung des Thymus, ob es nun über eine Sternotomie oder ein minimalinvasives Verfahren – also eine Roboter-assistierte Operation geschieht – ist, dass möglichst der gesamte Thymus, die gesamte Thymusdrüse enkapsuliert entfernt wird. Das heißt, die Thymusdrüse mitsamt seinen oberen und unteren Thymus-Hörnern, dem umgebenden Binde- und Fettgewebe sowie der trainierenden Lymphknoten, ungeachtet des Zentrums, ungeachtet des Ortes, an dem diese Thymektomie durchgeführt wird. Nun, seit etwa gut 20 Jahren hat die thorakoskopische, das heißt, die minimalinvasive Resektion des Thymus, die Sternotomie abgelöst. Und seit etwa 10 Jahren steht uns der Roboter zur Verfügung, der letztlich die Thorakoskopie, den thorakoskopischen Eingriff, nochmals verfeinert hat. Also er hat zum wesentlichen Vorteil, dass wir die Resektion mit einem intuitiven Technikverfahren durchführen können. Der Roboter leistet uns Hilfe, so viel wir benötigen, dass wir sehr bequem an einer Konsole arbeiten können, operieren können, mit beiden Händen in einem 3-dimensionalen Feld mit einem 3-dimensionalen Blickfeld und hierdurch über einen minimalen invasiven Zugang – ähnlich des thorakoskopischen Zugangs – die Thymusdrüse entfernen können. Wesentliche Vorteile sind für den Patienten geringere Schmerzhaftigkeit, kürzere Hospitalisationsdauer. Das geht allerdings zu Kosten aufgrund medizinischer Ausgaben und möglicherweise auch auf Kosten einer  – gerade relevant bei Myasthenie-Patienten – vollständigen Entfernung des Thymus. In Zentren, wo eine kritische Zahl an Thymektomien über Roboter-assistierte Verfahren durchgeführt werden, ist davon auszugehen, dass der Thymus vollständig entfernt wird, also enkapsuliert entfernt wird. So wie damals bei der Sternotomie. Zentren oder Einrichtungen, die das etwas seltener machen, kann es passieren, dass nicht der vollständige Thymus entfernt wird und so eine bestehende Myasthenie weiterbesteht oder aber ein Thymom möglicherweise mitsamt des Binde- und Fettgewebes sowie Lymphknoten nicht vollständig entfernt werden.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Über die Myasthenia gravis haben wir heute ja schon einiges besprochen, können Sie aber vielleicht das Krankheitsbild noch mal erläutern und auch, wie sich Myasthenia gravis und Thymom gegenseitig beeinflussen oder wie diese beiden Krankheitsbilder miteinander verknüpft sind.

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Die Myasthenie leitet sich vom Griechischen, von den griechischen Wörtern, ab, die für Muskel und für Schwäche stehen. Das ist eine Autoimmunerkrankung, die insgesamt recht selten auftritt. Es betrifft 100 bis 200 Menschen pro Million. Und insgesamt kann man sagen, jetzt zum Thymom, wo die Geschlechterverteilung relativ balanciert ist, sind Frauen von einer Myasthenie häufiger betroffen als Männer. Diese Patienten leiden unter einer muskulären Schwäche. Das beginnt sehr oft im Gesicht, bei den Augen. Der Augenmuskel, sehr, sehr viel unbewusst, aber sehr viel beansprucht wird, ermüdet er auch stärker möglicherweise als andere Muskeln, die weniger beansprucht werden, im Gesicht. Da reden wir dann von einer okulären Myasthenie, einem okulären Schwerpunkt, wo der Patient über Doppelbilder klag. Das Lid fällt herab, das Augenlid, im Sinne einer Ptose oder man sieht verschwommen. Auch das Kauen kann zuweilen beeinträchtigt sein. Solch eine okuläre Myasthenie kann sich – und es tritt relativ häufig auf – in eine generalisierte Myasthenie... Wie kommt es nun dazu, dass es zu diesen Antikörperentwicklung oder Bein- oder Rumpf-betonte Schwächebeklagen, die klassischerweise im Tagesverlauf zunimmt? Nun, was liegt dem zugrunde? Man findet bei einer Diagnose einer Myasthenie Antikörper gegen Azetylcholinrezeptoren. Diese Azetylcholinrezeptoren sitzen auf, im synaptischen Spalt, auf dem Muskel. Wenn diese Rezeptoren durch Antikörper besetzt werden, kann die Signalübertragung auf den Muskel nicht mehr stattfinden und der Muskel erschlafft. ... gegen diese Rezeptoren entstehen ... Und genau da ist auch die Verknüpfung zum Thymus evident. Wir haben es bei den allermeisten Myasthenien mit einer Veränderung im Thymus zu tun. Das heißt, die verbliebenen Epithelzellen, die aus der Kindheit nach der Pubertät noch verblieben sind, nachdem das Organ sich also involutioniert und fettig verändert hat, verblieben einige Epithelzellen, die sich nun wieder verändern – ihre Oberfläche so verändern, dass Merkmale zutage treten, gegen die Antikörper entwickelt werden. Und diese Merkmale auf der Zelle ähneln tatsächlich denen, derer, die auf dem Muskel im synaptischen Spalt sitzen –  den Acetylcholinrezeptoren, so dass es zu einer Kreuzreaktion kommt. Es bilden sich also Antikörper gegen die auf dem Thymusepithel bestehenden Rezeptoren, die genau die gleichen Rezeptoren auf den Muskeln erkennen und somit den Muskel schädigen. Entfernt man nun die Thymusdrüse, so wird auch die Epithelzellen das Antigen entfernt und die Antikörper, um es mal einfacher auszudrücken, verlieren die Lust und auch letztlich das Leben, um aktiv zu bleiben und gegen den Muskel weiter vorzugehen. Und das ist der Grund dafür, dass sich die Myasthenie – das Krankheitsbild der Myasthenie – nach einer Thymektomie in vielen Fällen wesentlich bessert.

Antje Blum: Danke für diese Erläuterung. Das war jetzt wirklich sehr anschaulich. Es gibt ja noch weitere Autoimmunerkrankungen, die mit einem Thymom assoziiert sind, also beispielsweise ein Lupus erythematodes desiminatus oder eben auch eine rheumatoide Arthritis. Wie häufig oder wie selten kommt es vor? Und was gibt es da zum Pathomechanismus zu sagen.

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Der Lupus erythematodes oder auch die rheumatoide Arthritis gehören, sind Krankheitsbilder, die zu den Autoimmunerkrankungen gehören. Und ihnen gemeinsam ist die Tatsache, dass sogenannte Autoantikörper vorliegen. Das heißt, ein Antikörper gegen eigenes Gewebe gerichtet. Wie ich anfangs erwähnt hatte, wird im Thymus in der frühen Kindheit, in der Adoleszenz, eine Selektion von T-Lymphozyten durchgeführt und es werden positive und negative T-Lymphozyten selektiert. Eine Vielzahl, etwa 97%, muss ausscheiden, weil sie fremde Antigene erkennen. Eine, die die Minderheit, die dann bleibt und nicht aussortiert wird, darf bleiben. Und diese sind für die Bekämpfung von fremden Antigenen zuständig. Nun ist es aber so, dass bei der Reifung des Thymus und bei der Reifung des Immunsystems eben doch nicht die Selektion nicht immer vollständig oder korrekt verläuft, so dass es dann fälschlicherweise zur Erkennung von Zellbestandteilen kommt, die eigentlich eigen sind, die der Antikörper oder die T-Zellen aber als fremd erkennt. Und somit kommt es zum Angriff auf dieses eigene Körpergewebe. Und die von Ihnen gerade – Frau Blum – genannten Erkrankungen sind nichts anderes, als dass Antikörper aktiv werden und eigene Zellbestandteile – im Fall des Lupus erythematodes gegen den Nukleus –, also sogenannte Anti-nukläre-Antikörper entstehen. Das äußert sich dann in einer generalisierten Entzündung, in Wundheilungstörungen, in Vernarbung, in generalisierten Entzündungsprozessen, die nicht regelhaft so wie bei jemand mit einem intakten Immunsystem ablaufen. Insgesamt sehen wir diese gerade von Ihnen genannten im Rahmen unserer Sprechstunde, im Rahmen des Thymoms, im Rahmen Myasthenie relativ selten, also deutlich im einstelligen Prozentbereich, im unteren einstelligen Prozentbereich, aber sie sind vorhanden und sie müssen bei der Anamnese und bei dem Begreifen des Patientenleidens und der Patientengeschichte immer berücksichtigt werden.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Wie ist die Prognose für Thymom-Patient:innen?

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Die die Prognose ist beim Thymom generell gut – das vorab gestellt. Die Therapiemöglichkeiten sind gut, die Prognose ist gut. Einziges – ich würde sagen – kleines Negativum ist, dass wir es mit einem seltenen Tumor zu tun haben. Dementsprechend haben wir auch sehr, sehr wenige prospektive, gute randomisierte Studien. Sehr wenig. Die meisten Daten basieren auf retrospektiven Studien, Fallserien und Beschreibungen. Aber man kann sagen, dass Thymome – und wir sprechen ja immer von einem 5-Jahres-Überlebenszeitraum –, dass Thymome im Stadium 1 – das heißt, wenn sie enkapsuliert sind, wenn sie resektal sind, reseziert werden und keiner weiteren Therapie bedürfen – eine 5-Jahres-Überlebensrate von 100% haben. Aber selbst Thymome, die in ihrem Stadium etwas fortgeschritten sind – also B, B2, B3 – haben nach 5 Jahren noch eine Überlebenschance von fast über 90%. Und im Stadium 4 sprechen wir auch noch von 50%. Selbst bei den fortgeschrittenen Thymomen. Um es noch etwas anschaulicher zu machen: Thymuskarzinom, die also richtige, voll ausgebildete Karzinome sind – wenn ich das so sagen darf – die also die Fähigkeit haben, sowohl lymphogen als auch hämatogen – bevorzugt hämatogen – zu metastasieren, dass diese Patienten immer noch eine 5-Jahres-Überlebensrate – nehmen wir dieses gesamte Paket der therapeutischen Möglichkeiten zusammen –, dass die eine 5-Jahres-Überlebensrate auch immer noch von 5 Jahren haben.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Also in dem Fall, wenn man betroffen ist, ist es ja schon mal sehr erleichternd, das zu hören, dass eben die Prognose generell gut ist.

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Ja, wenn ich dazu noch sagen darf, es gibt in dem Sinne – auch wenn das so beschrieben wird – in dem Sinne keine gutartigen und bösartigen Thymome. Lassen wir das Thymuskarzinom etwas heraus – da haben wir es bewiesenermaßen mit einem Karzinom zu tun und dürfen das auch so nennen. Wenn wir aber die Thymome nehmen, wo die Bandbreite von A, AB, B1 bis B3 geht, dann dürfen wir streng genommen nie von einem gutartigen Thymom und einem bösartigen Thymom sprechen, sondern müssen alle Thymome letztlich so behandeln, als wären sie potenziell maligne Tumorem. Auch das frühe, das A-Thymom – auch wenn es klein ist. Denn jedes Thymom hat in seiner Entwicklung die Potenz, bis zu einem späten Stadium eines Thymoms, eines B3, zu reifen und damit das maligne Potenzial in sich.

Antje Blum: Und die Tatsache, dass sie jetzt 30 Fälle im Jahr behandeln, sprich: das ist ja dann relativ eine Zentrumszahl, oder? Also wenn jemand mit einer seltenen Erkrankung sich an ein Zentrum wendet, ist er natürlich am besten versorgt. Also 30 ist viel?  

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Korrekt. Also, wir haben ... Operationen haben wir 30 bis 40. Wir sehen aber wesentlich mehr, weil wir, weil wir Patienten nachbehandeln. Wir beraten andere, andere Zentren. Also wir sehen tatsächlich mehr Patienten als diese – fast doppelt so viele.

Antje Blum: Astrid, wenn du jetzt keine Frage mehr hast, dann würde ich meine berühmte Abschlussfrage stellen. Bei der mir, bei der du mir normalerweise ins Wort fällst.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Diesmal nicht.

Antje Blum: Versichere ich mich rück. So, Herr Jungraithmayr: Hören Sie denn selbst Podcasts? Und wenn ja, welche?

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Ich höre zuweilen Podcasts der International Society of Heart and Lung Transplantation und auch der International Association for Lung Cancer. Noch nicht lange, aber es kommen zunehmend sehr interessante Beiträge und ich kann es nur empfehlen.

Antje Blum: Das ist toll. Dann stellen wir das noch in die Shownotes. Sie sind übrigens der Erste, der jetzt mal so einen fachlichen, fachliche Podcast genannt hat. Also die meisten nehmen das wohl doch ein bisschen zur Unterhaltung und zum Runterkommen. Sehr interessant.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Ja, dann vielen Dank, Herr Professor Jungraithmayr, für dieses sehr interessante Gespräch und wir bedanken uns ganz herzlich, dass Sie heute bei uns waren. Bis zum nächsten Mal!

Prof. Dr. med. Dr. sc. nat. Wolfgang Jungraithmayr: Vielen Dank, Frau Blum. Vielen Dank, Frau Dr. Heinl.

Antje Blum: Vielen, vielen Dank. Bis zum nächsten Mal! Liebe Hörer:innen, dieser Podcast ist eine Kooperation zwischen dem Journal Onkologie und der Medical Tribune Onkologie/Hämatologie. Abonnieren Sie uns, wenn Ihnen der Podcast gefällt. Neue Folgen gibt es alle 14 Tage mittwochs.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Schreiben Sie uns auch gern Ihre Kommentare und Themenvorschläge an o-ton-onkologie@medtrix.group. Den Link finden Sie auch nochmals in den Shownotes.

Antje Blum: Bis zum nächsten Mal.

Dr. med. vet. Astrid Heinl: Bis zum nächsten Mal.

Outro: Das war O-Ton Onkologie, der Podcast für Mediziner:innen. Dieser Podcast dient ausschließlich der neutralen Information bzw. Fortbildung und richtet sich primär an Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinstudierende.

Quelle: JOURNAL ONKOLOGIE / Medical Tribune


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