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Aplastische Anämie: Ursachen, Symptome und aktuelle Therapieansätze

Antje Blum

Aplastische Anämie: Ursachen, Symptome und aktuelle Therapieansätze
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Die aplastische Anämie ist eine seltene, aber schwerwiegende Erkrankung des Knochenmarks. Sie führt zu einer drastischen Reduktion der Blutzellproduktion und kann unbehandelt zum Tode führen.
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Definition der aplastischen Anämie

Die aplastische Anämie ist eine seltene hämatologische Erkrankung, die durch eine Störung aller 3 hämatopoetischen Zelllinien im Knochenmark verursacht wird. Diese Störung führt zu einer Panzytopenie, also einem Mangel an Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten. Der Grund dafür ist eine unzureichende Blutzellproduktion oder die vollständige Einstellung der Produktion im Knochenmark.

Epidemiologie der aplastischen Anämie

Die aplastische Anämie ist selten, mit einer jährlichen Inzidenz von etwa 2 bis 4 Fällen pro 1 Million Menschen. Sie tritt weltweit auf und kann Menschen aller Altersgruppen betreffen, wobei ein gehäuftes Auftreten bei jungen Erwachsenen und in der älteren Bevölkerung zu beobachten ist. In bestimmten Regionen, insbesondere in Asien, wird eine höhere Inzidenz beobachtet, was auf Umwelteinflüsse hinweisen könnte.

Ätiologie der aplastischen Anämie

Die Ursachen der aplastischen Anämie sind vielfältig und werden in erworbene und angeborene Formen unterteilt:
 
  • Erworbene aplastische Anämie: Sie stellt die häufigste Form darf und entsteht durch autoimmunologische Prozesse, bei denen das eigene Immunsystem die blutbildenden Stammzellen angreift. Exogene Faktoren wie Medikamente (z.B. Zytostatika, Antibiotika), Chemikalien (z.B. Benzol), ionisierende Strahlung und Virusinfektionen (z.B. Hepatitis, EBV) können ebenfalls Auslöser sein.
  • Angeborene aplastische Anämie: Angeborene Formen, wie das Fanconi-Anämie-Syndrom, resultieren aus genetischen Defekten, die die DNA-Reparaturmechanismen beeinträchtigen und zu einer Störung der Knochenmarkfunktion führen.

Pathogenese der aplastischen Anämie

Bei der aplastischen Anämie kommt es zu einer Reduktion oder vollständigen Zerstörung der hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark. Dies führt zu einer drastischen Abnahme der Zellen in allen 3 Zelllinien (Erythrozyten, Leukozyten und Thrombozyten), was wiederum schwere Symptome verursacht. In den meisten Fällen spielt eine Fehlregulation des Immunsystems eine zentrale Rolle, bei der T-Zellen die Knochenmarkzellen angreifen.

Klassifikation der aplastischen Anämie

Die aplastische Anämie wird basierend auf der „International Aplastic Anemia Study Group“ (IAASG) in 3 Kategorien eingeteilt:

Nicht schwere aplastische Anämie (non-severe aplastic anaemia, NSAA)

  • Moderate Reduktion der Blutzellen, was in der Regel keine sofortige Therapie erfordert.
  • Granulozytenanzahl > 0,5 x 10^9/l, aber < 1,5 x 10^9/l.
Bluttransfusionen sind selten erforderlich.

Schwere aplastische Anämie (severe aplastic anaemia, SAA)

Deutliche Reduktion der Blutzellen, was eine sofortige Therapie erforderlich macht.
 
  • Granulozytenanzahl < 0,5 x 10^9/l.
  • Thrombozyten < 20 x 10^9/l.
  • Retikulozyten < 20 x 10^9/l.

Sehr schwere aplastische Anämie (very severe aplastic anaemia, VSAA)

Extrem niedrige Blutzellzahlen, die umgehend intensive therapeutische Maßnahmen erfordern.
 
  • Granulozyten < 0,2 x 10^9/l.

Symptomatik der aplastischen Anämie

Die Symptome der aplastischen Anämie sind direkt auf den Mangel an Blutzellen zurückzuführen:
 
  • Anämie: Müdigkeit, Schwäche, Blässe und Atemnot durch den Mangel an roten Blutkörperchen.
  • Thrombozytopenie: Blutungsneigung, häufiges Nasen- und Zahnfleischbluten, Petechien, bei Frauen verlängerte Menstruationsblutungen.
  • Leukopenie: Erhöhte Anfälligkeit für Infektionen, die schwer verlaufen können. Infektionen der Haut, der Atemwege und des Urogenitaltrakts sind häufig.

Diagnostik der aplastischen Anämie

Die Diagnose der aplastischen Anämie basiert auf einer Kombination aus klinischer Untersuchung, Blutuntersuchungen und Knochenmarkdiagnostik.
 
  • Blutuntersuchung: Typischerweise zeigt das Blutbild eine Panzytopenie. Der Mangel an Erythrozyten, Thrombozyten und Leukozyten ist charakteristisch.
  • Knochenmarkuntersuchung: Eine Knochenmarkpunktion oder -biopsie zeigt ein hypozelluläres, fettreiches Knochenmark mit stark reduzierter oder fehlender Zellproduktion. Weitere Tests sollen durchgeführt werden, um andere Ursachen der Panzytopenie, wie Leukämien, Myelodysplastisches Syndrom, Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH), Diamond-Blackfan-Anämie-Syndrom o.ä. auszuschließen.

Therapie der aplastischen Anämie

Die Behandlung der aplastischen Anämie richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung und den individuellen Merkmalen der Patientin bzw. des Patienten. Die beiden Hauptsäulen der Therapie sind:
 
  • Immunosuppressive Therapie (IST): Patient:innen, die keinen geeigneten Stammzellspender haben, werden oft mit Immunsuppressiva wie Anti-Thymozytenglobulin (ATG) und Ciclosporin behandelt. Diese Therapie zielt darauf ab, die Fehlregulation des Immunsystems zu unterdrücken.
  • Allogene Stammzelltransplantation (alloSCT): Dies ist die kurative Therapieoption für junge Patient:innen mit einem geeigneten Spender. Sie bietet die Möglichkeit einer vollständigen Genesung, ist jedoch mit erheblichen Risiken verbunden, wie dem der Entwicklung einer akuten oder chronischen Graft-versus-Host-Disease (GvHD) oder Infektionen.

Neue Therapieansätze: Weiterentwicklung der Stammzelltransplantation und Gentherapie

Die Forschung zur aplastischen Anämie konzentriert sich zunehmend auf innovative Therapieansätze, darunter die Gentherapie und die Weiterentwicklung der Stammzelltransplantation. Ein aktuelles Forschungsfeld befasst sich mit der Verbesserung der allogSCT, insbesondere durch die Reduktion der GvHD, einer schweren Komplikation nach der Transplantation. Wissenschaftler untersuchen den Einsatz spezifischer Immunmodulatoren, um die Abstoßungsreaktionen zu minimieren und die Erfolgsrate zu erhöhen.

Parallel dazu gewinnt die Gentherapie an Bedeutung. Die Gentherapie ist ein vielversprechender Ansatz, insbesondere bei genetischen Formen der aplastischen Anämie wie dem Fanconi-Anämie-Syndrom. Durch die Korrektur der zugrundeliegenden genetischen Defekte könnte es möglich sein, die Knochenmarkfunktion wiederherzustellen. Klinische Studien prüfen die Machbarkeit, genetische Defekte bei angeborenen Formen der aplastischen Anämie, wie dem Fanconi-Anämie-Syndrom, gezielt zu korrigieren. Erste Ergebnisse zeigen vielversprechende Ansätze zur Wiederherstellung der Knochenmarkfunktion, wobei das langfristige Potenzial dieser Therapien weiterhin untersucht wird. Die Entwicklung dieser Technologien könnte in den kommenden Jahren eine bedeutende Veränderung in der Behandlung von Patienten mit aplastischer Anämie darstellen.
 
 

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Nachsorge und Prognose

Die Prognose der aplastischen Anämie hängt stark von der Behandlung und dem allgemeinen Gesundheitszustand der Patient:innen ab. Auch Patient:innen, die erfolgreich behandelt wurden, müssen regelmäßig kontrolliert werden, um Rückfälle und Langzeitkomplikationen wie Sekundärmalignome oder Organschäden durch die Therapie zu erkennen:

1. Regelmäßige Überwachung des Blutbilds

  • Blutbildkontrolle: Patienten müssen regelmäßig zur Blutuntersuchung erscheinen, um die Blutzellwerte zu überwachen. Dies hilft, frühzeitig Rückfälle oder eine Verschlechterung der Krankheit zu erkennen.
  • Beobachtung von Anämiesymptomen: Patienten sollten Symptome wie Schwäche, Müdigkeit oder Atemnot kontinuierlich beobachten und diese sofort ihrem Arzt mitteilen.

2. Immunsuppressive Therapie und Nebenwirkungen

  • Langzeit-Immunsuppression: Patienten, die eine immunsuppressive Therapie erhalten, müssen langfristig überwacht werden, um Nebenwirkungen wie Infektionen oder Organschäden zu erkennen. Auch das Risiko eines Rückfalls nach Absetzen der Medikamente muss bedacht werden.
  • Prophylaxe gegen Infektionen: Um Infektionen vorzubeugen, kann eine antimikrobielle Prophylaxe notwendig sein. Auch Impfungen, z.B. gegen Pneumokokken und Grippe, sind wichtig, da das Immunsystem geschwächt ist.

3. Transplantationsnachsorge

  • Stammzelltransplantation: Für Patient:innen, die eine Stammzelltransplantation erhalten haben, ist eine lebenslange Nachsorge notwendig. Dies umfasst die Überwachung auf mögliche Abstoßungsreaktionen (GvHD) sowie Infektionsprophylaxe und die Beobachtung von Organfunktionen, die durch die Transplantation beeinträchtigt sein können.
  • GvHD-Management: Patient:innen, die eine Stammzelltransplantation durchlaufen haben, werden auf Zeichen der GvHD überwacht, was eine engmaschige Betreuung und die Anpassung immunsuppressiver Medikamente erfordert.
 
 

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4. Langfristige Komplikationen

  • Sekundärmalignome: Patient:innen müssen auf die Entwicklung sekundärer Krebserkrankungen überwacht werden, da die immunsuppressive Therapie und die Stammzelltransplantation das Risiko für Malignome erhöhen können.
  • Organüberwachung: Patient:innen müssen auf mögliche Organschäden überwacht werden, insbesondere Leber, Lunge und Nieren, da diese Organe durch die Therapie oder Transplantation belastet werden können.

5. Psychosoziale Unterstützung und Selbsthilfegruppen

  • Psychologische Betreuung: Viele Patient:innen mit aplastischer Anämie leiden unter den psychologischen Belastungen einer chronischen Krankheit und den potenziell schwerwiegenden Therapien. Eine psychologische Unterstützung sowie die Integration in Selbsthilfegruppen können hier hilfreich sein.
  • Lebensqualität: Das Langzeitmanagement muss auch die Verbesserung und Aufrechterhaltung der Lebensqualität umfassen, was regelmäßige Beratungsgespräche zur Bewältigung des Alltags sowie eine Unterstützung bei Ernährungs- und Bewegungsempfehlungen beinhalten kann.
  • Selbsthilfegruppen für Patienten mit aplastischer Anämie bieten Betroffenen und ihren Angehörigen Unterstützung. Eine bekannte Selbsthilfeorganisation in Deutschland ist der Aplastische Anämie und PNH e.V. (https://aa-pnh.org/), die speziell Patient:innen mit aplastischer Anämie und PNH unterstützt. Diese Gruppe veranstaltet außerdem regelmäßige Treffen, um den Austausch zwischen Patient:innen und Fachleuten zu fördern.

6. Rehabilitationsmaßnahmen

  • Erholungsphasen: Besonders nach intensiven Therapien wie einer Stammzelltransplantation kann eine stationäre oder ambulante Rehabilitation notwendig sein, um die körperliche Leistungsfähigkeit wiederherzustellen und den Übergang in den Alltag zu erleichtern.
Das Ziel des Langzeitmanagements besteht darin, den Gesundheitszustand stabil zu halten, Rückfälle zu verhindern, potenzielle Komplikationen frühzeitig zu erkennen und die Lebensqualität zu verbessern.

Prophylaxe der aplastischen Anämie

Eine spezifische Prävention der aplastischen Anämie ist nicht möglich. Allerdings sollten Menschen, die berufsbedingt mit potenziell toxischen Substanzen in Kontakt kommen, entsprechende Schutzmaßnahmen ergreifen. Bei Medikamenten, die als Auslöser in Frage kommen, ist eine sorgfältige Überwachung des Blutbildes erforderlich.
 
FAQ
Häufig gestellte Fragen von Patient:innen zum Thema Aplastische Anämie

Was ist eine aplastische Anämie?

Aplastische Anämie ist eine seltene Erkrankung des Knochenmarks, bei der die Produktion von Blutzellen stark eingeschränkt ist, was zu Anämie, Infektionsanfälligkeit und Blutungsneigung führt.

Welche Symptome verursacht die aplastische Anämie?

Die Symptome umfassen extreme Müdigkeit, Blässe, häufige Infektionen, Blutungen und Blutergüsse aufgrund des Mangels an verschiedenen Blutzellen.

Wie wird aplastische Anämie behandelt?


Die Behandlung umfasst in der Regel eine immunsuppressive Therapie oder eine Stammzelltransplantation, abhängig von Alter, Gesundheitszustand und Verfügbarkeit eines Spenders.

Kann aplastische Anämie geheilt werden?

Ja, insbesondere durch eine allogene Stammzelltransplantation besteht eine Chance auf Heilung. Die Prognose hängt jedoch vom Schweregrad und der gewählten Behandlung ab.

Welche neuen Therapieansätze gibt es?

Die Gentherapie wird als neuer Ansatz untersucht, insbesondere bei genetisch bedingten Formen der aplastischen Anämie. Dieser Ansatz zielt darauf ab, genetische Defekte direkt zu korrigieren.

Redaktion JOURNAL ONKOLOGIE

Literatur:

Onkopedia.de, Aplastische Anämie (abgerufen am 26.8.2024)
Onmeda.de: Aplastische Anämie: Symptome, Lebenserwartung, Behandlung (abgerufen am 26.8.2024)
GPOH.de (Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie): Aplastische Anämie (abgerufen am 26.8.24)
Seltene-Anaemien-Deutschland.de: Aplastische Anämie – SAM (abgerufen am 26.8.24)

Beiträge zum Thema:

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