27. März 2023
Eine Brustkrebsdiagnose trifft viele Patient:innen unerwartet. Sowohl die Diagnose als auch die Behandlung gehen häufig mit deutlicher psychischer Belastung einher und haben Auswirkungen auf das gesamte familiäre System. Spezifische psychoonkologische Behandlungsangebote sind integraler Bestandteil der stationären Behandlung in zertifizierten Brustzentren sowie der ambulanten Disease Management Programme. Behandelnde Ärzt:innen können ihre Patient:innen durch eine professionelle und empathische ärztliche Gesprächsführung und Beziehungsgestaltung ebenfalls psychoonkologisch unterstützen. In diesem Artikel wird ein kompakter Überblick gegeben über Screening-Instrumente zur Identifizierung psychoonkologisch betreuungsbedürftiger Patient:innen, über hilfreiche Gesprächstechniken für behandelnde Ärzt:innen, über besondere Belastungen infolge einer Brustkrebserkrankung sowie über die Wichtigkeit, Patient:innen zu unterstützen, mit ihren Kindern über Krebs zu sprechen.
Prävalenzen psychischer Belastungen bei Brustkrebs
Ein bedeutender Anteil der Brustkrebs-Patient:innen leidet im Rahmen der Diagnose und Behandlung unter psychischen Belastungen. In Meta-Analysen zeigte sich eine Angst-Prävalenz von 41,9% (1) und eine Depressions-Prävalenz von 32,2% (2). Eine Woche nach der Initialbehandlung erfüllten 22,7% der Frauen die Kriterien für eine Anpassungsstörung (F43.2) und 15,2% die Kriterien für eine akute Belastungsreaktion (F43.0) (3). Bei Brustkrebs-Patient:innen wurde postoperativ eine signifikant geringere Lebensqualität und signifikant höhere ängstliche Depressivität im Vergleich zu einer gesunden Vergleichsgruppe bei entsprechenden berichteten körperlichen Beschwerden festgestellt (4).
Screening-Instrumente zur Ermittlung psychoonkologischen Betreuungsbedarfs
Es ist wichtig, psychisch belastete Patient:innen so früh wie möglich zu identifizieren, um eine angemessene, bedarfsgerechte psychoonkologische Mitbegleitung anzubieten. Aufgrund der hohen Arbeitsbelastung des medizinischen Fachpersonals kann es im Arbeitsalltag schwierig sein, den Betreuungsbedarf von Patient:innen ausreichend einzuschätzen. Eine zeiteffiziente Möglichkeit der Bedarfseinschätzung bieten valide Screening-Instrumente. Der Einsatz beider folgend vorgestellter Testinstrumente wird von der Arbeitsgemeinschaft für Psychoonkologie der Deutschen Krebsgesellschaft empfohlen (7).
Das Hornheider Screening-Instrument (HSI) (5, 6) ist ein aus 7 Fragen bestehender psychoonkologischer Fragebogen zur Selbstbeurteilung. Er eignet sich gut zum Einsatz im Erstkontakt, die Auswertung erfolgt schnell mittels Excel-Tabelle und gibt den psychoonkologischen Betreuungsbedarf (ja/nein) der Patient:in an. Über den Erstautor kann das HSI kostenfrei angefordert werden (gerhard.strittmatter@fachklinik-hornheide.de) (7).
Die deutsche Version der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS-D) (8, 9) ist ein gut validiertes Fragebogeninstrument zur Selbstbeurteilung von Angst und Depressivität bei Erwachsenen mit körperlichen Beschwerden oder Erkrankungen. Sie besteht aus den 2 Subskalen „Angst“ und „Depressivität“ mit je 7 Items und einer 4-stufigen Antwortskala (0-3). Die Auswertung erfolgt manuell in 1-2 Minuten. Die Ergebnisse können im unauffälligen, grenzwertigen oder auffälligen Bereich liegen.
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Ein professioneller und empathischer Umgang mit den Brustkrebs-Patient:innen zählt zu dem psychosomatischen Aufgabengebiet der behandelnden Ärzt:innen. Dabei können spezifische Gesprächstechniken helfen, eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen und aufrechtzuerhalten sowie Interesse, Sicherheit und Kompetenz zu vermitteln. Einige Ärzt:innen haben Respekt davor, das psychische Befinden der Patient:innen anzusprechen oder schwierige Themen offen zu erfragen. Dies fundiert nicht selten auf der Befürchtung, starke emotionale Reaktionen nicht auffangen zu können und/oder das Gespräch dann nicht mehr dem eng getakteten Arbeitsalltag angemessen begrenzen zu können. Dabei können empathisch wertschätzende Gespräche im gleichen Zeitrahmen stattfinden wie rein informative Aufklärungsgespräche.
Gesprächsstrukturierung: Hilfreich gestaltet sich eine klare Gesprächsstrukturierung, bei welcher zu Beginn des Gesprächs Ziel und Rahmen geklärt werden (z.B. „Leider habe ich jetzt nur 10 Minuten Zeit. Ich möchte die Zeit jedoch gerne dafür nutzen, um mit Ihnen über XY zu sprechen“). Auch das Gesprächsende kann entsprechend eingeleitet werden (z.B. „Leider müssen wir gleich zum Ende kommen. Daher möchte ich zum Ende gerne noch wissen, …“). Eine klare Gesprächsstrukturierung bietet Transparenz und Kontrolle für alle Beteiligten.
Grundhaltung: Unangenehme Gefühle wie Angst, Trauer und Wut sind im Falle einer Brustkrebserkrankung normal. Schließlich ist Krebs assoziiert mit der Bedrohung der Gesundheit und des Lebens und geht mit vielfältigen Verlusten (z.B. der eigenen Brust) einher. Vor allem aber bedeutet eine Krebserkrankung den Verlust der Sicherheit bezüglich der körperlichen Gesundheit. Eine Brustkrebsdiagnose bedingt eine tiefgreifende Lernerfahrung, dass sich jederzeit ohne wahrnehmbare Anzeichen ein Krebs entwickeln kann. Deshalb wird die Progredienz-Angst (10) – die Angst, dass der Krebs fortschreitet oder wiederauftritt – nun zur Begleiterin der Brustkrebs-Patient:in. Kann der Brustkrebs erfolgreich behandelt werden und bleiben die Kontrolluntersuchungen ohne Befund, so nimmt die Progredienz-Angst über die Zeit ab. Krankheitsbewältigung bedeutet deshalb auch, einen Weg zur Akzeptanz und zu einem aktiven Umgang mit diesen normalen belastenden Gefühlen zu finden. Verfolgen Behandler:innen die Strategie, ihren Patient:innen „die Angst zu nehmen“, so werden sich die Patient:innen nicht ernst- und wahrgenommen fühlen, da diese Strategie ihrer Lernerfahrung widerspricht. Ungemein wertvoll und unterstützend für die Patient:in ist dagegen eine die belastenden Gefühle akzeptierende Grundhaltung mit der Bereitschaft, die Angst der Patient:in mitzutragen und sie bei der Suche nach einem funktionalen Umgang zu unterstützen. Folgende kommunikativen Basisstrategien können dabei helfen:
Diagnosemitteilung: Das Mitteilen einer Brustkrebsdiagnose kann für die Behandelnden eine große Herausforderung darstellen. Das SPIKES-Protokoll (Tab. 1) zur Vermittlung schwerwiegender Nachrichten kann in dieser Situation Halt und Struktur geben und die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Akuten Belastungsreaktion vermindern (11).
Tab. 1: SPIKES-Protokoll (mod. nach (11)).
Brückenfragen: Brückenfragen helfen den Einstieg in schwierige Themen zu finden (z.B.: „Von anderen Frauen mit einer Brustkrebserkrankung weiß ich, dass Sie auch … als sehr belastend erleben. Wie ist das bei Ihnen?“). Brückenfragen gestalten sich besonders hilfreich bei den Themen Sexualität, Identität als Frau, Weiblichkeit, Haarverlust und Scham über die empfundenen belastenden Gefühle. Dabei bleibt der Patient:in überlassen, ob und inwieweit sie auf das angesprochene Thema eingehen möchte.