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JOURNAL ONKOLOGIE 01/2022

4 Perspektiven zur Mika-App

Dr. rer. nat. Carola Göring

4 Perspektiven zur Mika-App
© Yakobchuk Olena – stock.adobe.com
Apps auf Rezept, sog. DiGAs (digitale Gesundheitsanwendungen) werden häufig noch misstrauisch beäugt. Dabei können sie als digitale Patient:innen-Begleitung Versorgungslücken ausgleichen und auch die Behandler:innen unterstützen. Die Betrachtung der Mika-App für onkologische Patient:innen aus verschiedenen Perspektiven zeigt den Nutzen. Die Mika-App ist die erste DiGA für alle Krebspatient:innen. Dabei steht Mika für: Mein interaktiver Krebsassistent. Als zertifizierte DiGA ist Mika verordnungsfähig (1).

Motivation für Mika: Persönliche Betroffenheit

Angehörige von Menschen, die eine Krebsdiagnose bekommen haben, sind häufig ähnlich geschockt wie die Betroffenen selbst. Sie erleben hautnah als Partner:in oder Freund:in, wie belastend eine Krebserkrankung sein kann und wie viele Lebensbereiche das betrifft. So ging es auch den Entwicklern der Mika-App, Dr. Jan Simon Raue und Dr. Gandolf Finke. Vor etwa 5 Jahren erlebten beide mehrere Krebsdia­gnosen im direkten Umfeld. „An der persönlichen Belastung durch die Krebserkrankung kann auch die gute onkologische Versorgung in Deutschland nichts ändern“, sagte Raue. Denn neben den vielen medizinischen Entscheidungen gibt es noch weitere Sorgen: Wie lange falle ich bei der Arbeit aus? Wie kann ich das finanziell stemmen? Wie sage ich es meinen Kindern oder Freund:innen? Wie stehe ich die anstrengende Therapie durch und werde ich das überleben? „All das macht Stress“, so Raue, „und es gibt niemanden, der einen da durch führt. Das ist das Problemfeld, das wir mit der Mika-App als digitalem Begleiter lösen wollten.“

Digitale Gesundheitstagebücher verbessern Früherkennung von Nebenwirkungen

Daher haben sich Raue und sein Partner mit der aktuellen Studienlage beschäftigt. 2017 hatte eine Präsentation von Dr. Ethan Basch und Kolleg:innen beim amerikanischen Krebskongress ASCO unter den Onkolog:innen für Aufsehen gesorgt. Basch konnte zeigen, dass digitale Gesundheitstagebücher dazu führen, Nebenwirkungen von Krebspatient:innen frühzeitiger zu erkennen. Auch die Lebensqualität besserte sich und sogar die Überlebensrate stieg an (2). Wie Raue schilderte, gaben diese Erkenntnisse den Ausschlag für die Entwicklung von Mika, die von führenden Expert:innen im Bereich der Krebsmedizin unterstützt wurde und wird.

Das bietet Mika

Die Mika-App kann die psychische und psychosomatische Belastung lindern, die durch die Diagnose und Therapie einer Krebserkrankung entsteht. Das wird zum einen durch einen „Check-Up“-Bereich erreicht. Hier können die App-Nutzer:innen täglich wichtige Symptome sowie das allgemeine Befinden auf Skalen notieren und dokumentieren. Auch ein klassisches Tagebuch steht zur Verfügung mit der Schreib-Aufforderung: Was beschäftigt dich gerade?

Der andere Bereich der App kann als Ressourcen-aktivierende Patient:innenedukation bezeichnet werden (3). Dabei erhalten die Krebspatient:innen hilfreiche Tipps für den Alltag und die Krankheitsbewältigung im Sinne eines psycho-onkologischen Coachings. Das Ganze ist in leicht verständlicher Sprache geschrieben, von onkologischen Expert:innen überprüft und in verschiedenen Formaten umgesetzt, sagte Raue. Die Rubrik „Themenreisen“ enthält Mini-Kurse mit verschiedenen Schwerpunktthemen wie z.B. „Entscheidungen treffen“. In diesen wird der Lernstoff in verschiedenen Formen – Text, Audio, Video, (Entspannungs-)Übung, Tagebuchübung zur Selbstreflexion – und in mehreren Etappen zur Verfügung gestellt.

Ärzt:innen-Sicht: Medizinisch korrekte Info für die Patient:innen

„Das Unverzichtbare an der Mika-App ist, dass die Patient:innen eine medizinisch korrekte Information bekommen“, sagte Prof. Dr. Diana Lüftner, Mammakarzinom-Spezialistin aus Berlin. „Die qualitätsgeprüften Informationen werden in der App gebündelt, die Patient:innen können sich nicht im Internet „verlaufen“ und auch nicht Opfer unlauterer Geschäftsinteressen werden.“ Das Angebot der App sei gut, so Lüftner, und dort, wo die Patientin oder der Patient thematisch andocke, könne sie oder er sich selbst weiterbilden und Wege der Krankheitsverarbeitung finden. Die Möglichkeit, täglich einen Symptom- und Nebenwirkungs-Check-Up durchzuführen, verifiziert die Symptomatik der Patient:innen und bringt damit Ärzt:innen und Patient:innen auf das gleiche Wissensniveau. Das sei laut Lüftner ein weiterer großer Vorteil der App.

Kritische Werte visuell hervorgehoben

Überschreiten die dokumentierten Symptome kritische Werte, erscheint dies in den Grafiken „rot“. „Ich lasse mir diese „red flags“ gerne auf dem Handy zeigen“, sagte Lüftner. Denn da seien auch Symptome dabei, die in der ärztlichen Routine nicht an erster Stelle stünden und daher auch nicht abgefragt würden. Durch diese Warnhinweise in der App erscheinen diese Symptome relativ früh, was ggf. eine schnelle Anpassung der Therapie ermöglicht.

Raue ergänzte, dass die Patient:innen dabei in der aktiven Rolle sind. Erhalten sie einen Warnhinweis mit der Aufforderung, schnell die oder den Behandelnden zu kontaktieren, können sie proaktiv agieren und müssen nicht bis zum vereinbarten Termin warten. Die regelmäßige Dokumentation der Symptome ist auch hilfreich, wenn beim vereinbarten Arzttermin nach dem Befinden in den letzten Wochen gefragt wird. Das empfindet auch Lüftner als hilfreich. Denn die App bilde das ab, was die Patient:innen am jeweiligen Tag erfahren und dokumentiert hätten.

Patient:innen-Sicht: Schnelle Hilfe und immer verfügbar

Die Patient:innen sind häufig sehr begeistert von der App, wie z.B. Anita Schiller, Ende 30 und alleinerziehend. „Ich lebe in einem Dorf, wo ich mit meiner Krebserkrankung alleine gelassen bin. Über das Thema Brustkrebs spricht hier niemand – es ist ein Tabu.“ Ihr helfen vor allem die Entspannungsübungen sowie die Themenreisen. „Ich habe sehr viel mit Fatigue zu kämpfen, da gibt es tolle Angebote in der App, die mir helfen.“ Schiller schätzt auch sehr, dass die Infos und Hilfen rund um die Uhr abgerufen werden können – auch dann, wenn sonst niemand  verfügbar ist. Ohne Mika hätte sie sich abends manchmal „kaputt gegoogelt“ und dabei so viel Negatives gefunden und letztlich doch die falschen Infos bekommen. „Das kann mit Mika nicht passieren, die Inhalte werden von Expert:innen geprüft – das gibt mir Sicherheit.“ Bei einer Reha ist Schiller über ihre Mitpatientin Nadja Will, die den „Think Pink Club“ (4) initiiert hat, auf die App aufmerksam gemacht worden. Leider etwas spät für den Antrag auf Haushaltshilfe bei ihrer Krankenkasse. „Da hat sich die Krankenkasse so quer gestellt, ich musste immer wieder hingehen und reden. Dabei war ich total fertig und überfordert. Mit der Mika-App hätte ich die „richtigen Schlagwörter für die Krankenkasse“ drauf gehabt und es wäre viel einfacher gewesen.“

Krankenkassen-Sicht: App ist gut, aber noch zu unbekannt

Bei den Krankenkassen zeige sich ein sehr unterschiedliches Bild, sagte Raue. Es gibt Krankenkassen, die offen für die App sind, aber leider auch die gegenteilige, ablehnende Haltung. Fakt ist jedoch, dass Patient:innen mit einer onkologischen Diagnose ein Recht darauf haben, die App erstattet zu bekommen. Christina Bernards, Fach­expertin für innovative Präventions- und Versorgungsangebote bei der Siemens Betriebskrankenkasse (SBK) sieht die Mika-App sehr positiv. Denn sie bietet konkrete Hilfestellung bei vielen akuten Problemen. Viele Patient:innen hätten ein sehr großes Informationsdefizit. Dabei sei es so wichtig gut informiert zu sein, auch um gute Entscheidungen treffen zu können. Die Mika-App schaffe es, die Informationen gut und verständlich zusammenzufassen. Aus ihrer Sicht sei die App noch zu unbekannt. Die onkologischen Patient:innen müssten viel stärker, z.B. im Entlass-Management oder in den Onkologie-Praxen auf die App hingewiesen werden. Wichtig sei auch, so Bernards, dass die DiGA in die bestehende Therapie eingebettet wird. „Die behandelnden Ärzt:innen sollten gemeinsam mit den Patient:innen entscheiden, ob die DiGA zum individuellen Bedarf des Patienten oder der Patientin passt. Für die Akzeptanz auf Seiten der Ärzt:innen und der Kassen, die die DiGA verordnen und genehmigen, sowie eine Begleitung sicherstellen, ist ferner relevant, wie die Vergütungshöhe langfristig gestaltet wird“, sagte Bernards.
 
DiGA – Digitale Gesundheitsanwendung

Eine DiGA, häufig auch „App auf Rezept“ genannt, ist ein CE-gekennzeichnetes Medizinprodukt. Die Mika-App gehört zu den DiGAs und ist seit Mai 2021 für fast alle Patient:innen mit onkologischen Indikationen offen. Die App hat das Prüfverfahren des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgreich absolviert und ist zur Erprobung zunächst bis zum 24.03.2022 zugelassen. Wenn bis dahin der medizinische Nutzen nachgewiesen ist, erfolgt die dauerhafte Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis. Sicherheit und Funktionstauglichkeit genügen den Anforderungen. Die Mika-App kann von Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen per Rezept verordnet werden, die Kosten (419,00 Euro für 90 Tage Anwendung) müssen von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet werden. Grundlage dafür ist das Digitale-Versorgungs-Gesetz (DVG) (1, 4).
 

Wissenschaftliche Sicht auf die Mika-App

Studien konnten zeigen, dass Patient:innen Symptome eher dokumentieren, wenn sie elektronisch abgefragt werden. Das Führen eines solchen elektronischen Symptomtagebuchs kann darüber hinaus die Überlebensrate und die Lebensqualität verbessern. Wie eine 12-wöchige Pilotstudie bei Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren zeigte, konnte die Nutzung der Mika-App die psychische Belastung der Teilnehmerinnen um 42% reduzieren. In dieser Studie an der Berliner Charité wurden auch starke Effekte auf die Fatigue gesehen (5). Aktuell läuft eine randomisierte und kontrollierte Studie mit 524 Patient:innen mit malignen Tumoren am Universitätsklinikum Leipzig mit Prof. Dr. Anja Mehnert-Theuerkauf als Studienleiterin. Für die dauerhafte Aufnahme in das DiGA-Verzeichnis soll nachgewiesen werden, dass die Nutzung von Mika die gesundheitsbezogene Lebensqualität verbessert und die psychische Belastung reduziert (1).

Wem sollten Ärzt:innen die Mika-App verschreiben?

Hier kann ganz pragmatisch vorgegangen werden. Lüftner empfiehlt ihren Kolleg:innen einfach zu fragen, ob die Patient:innen die App nutzen wollen.

Quelle: Fosanis

Literatur:

(1) www.mitmika.de/fachkreise
(2) Basch E et al. JAMA 2017;318(2):197-98.
(3) https://www.mitmika.de/mika-description
(4) https://www.think-pink.club
(5) https://diga.bfarm.de/de/verzeichnis/875/fachkreise


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