Samstag, 23. November 2024
Navigation öffnen
JOURNAL ONKOLOGIE 05/2022
Neoadjuvante Therapie bei Brustkrebs-Patientinnen

Aspekte zu Nebenwirkungen, psychosozialen Faktoren und Lebensqualität

Dr. med. vet. Astrid Heinl

Aspekte zu Nebenwirkungen, psychosozialen Faktoren und Lebensqualität
© Crystal light - stock.adobe.com
Bei Frauen mit Brustkrebs, die für eine neoadjuvante Therapie in Frage kommen, werden psychosoziale Folgen und eine Veränderung ihrer Lebensqualität beobachtet. Anhand mehrerer Studien wurden nun Daten zur psychischen Belastung, zu Bewältigungsstrategien und zur Lebensqualität von erwachsenen Brustkrebs-Patientinnen, die entweder eine Chemo- oder eine endokrine Therapie erhielten, analysiert. Dabei wurden Studien (z.B. Beobachtungsstudien, prospektive Studien, Fall-Kontroll-Studien sowie psychologische Interventionen, randomisierte kontrollierte Studien und experimentelle pharmakologische Studien), in denen primäre und sekundäre Endpunkte bewertet wurden, berücksichtigt. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, mögliche zusätzliche Strategien aufzuzeigen, um die psychische Gesundheit der Patientinnen und deren Lebensqualität zu fördern und sie bei der Durchführung effektiver Anpassungsstrategien während einer neoadjuvanten Behandlung zu unterstützen.
Ziel dieser Übersichtsarbeit ist es, die beste verfügbare Evidenz in Bezug auf psychische Belastung, Anpassungsstrategien und Lebensqualität bei Brustkrebs-Patientinnen, die eine neoadjuvante Therapie erhalten, zu identifizieren. Daneben werden weitere psychologische und soziale Aspekte (psychosozialer Stress, Depressionen, Ängste) sowie die von den Patientinnen während der neoadjuvanten Therapie berichteten körperlichen Symptome erfasst, ebenso wie die Erfahrungen und Probleme der Patientinnen, die während der neoadjuvanten Therapie auftraten. Ein weiterer Punkt ist die Betrachtung der verschiedenen supportiven Maßnahmen im Umgang mit der Erkrankung und der Therapie.

Das lokal fortgeschrittene Mammakarzinom

Brustkrebs ist weltweit die zweithäufigste Krebserkrankung und mit einer globalen Inzidenz von 46,3/100.000 Frauen und über 600.000 Todesfällen die häufigste Krebserkrankung der weiblichen Bevölkerung.

Das lokal fortgeschrittene Mammakarzinom (locally advanced breast cancer, LABC) umfasst sowohl langsam wachsende als auch schnell proliferierende Tumoren. Kriterium für ein LABC ist eine Tumorgröße > 50 mm, und beim LABC breitet sich der Tumor auf andere Lymphknoten und/oder Gewebe in der Brustregion aus (Haut- oder Brustwandinfiltration), andere Körperteile sind nicht befallen. Dazu gehören T3- oder T4- und N2- oder N3-Tumoren (Stadium IIB-T3N0 bis Stadium III). Studien zeigen, dass in Europa bei 4% der Brustkrebs-Patientinnen ein LABC vorliegt, in Amerika bei 8,5%, in Entwicklungsländern liegt die Inzidenz zwischen 33% und 77%.
 
 

Lesen Sie mehr zu diesem Thema:

Mammakarzinom: Rezidivraten durch optimale Therapiedauer effektiv senken

Erschienen am 25.04.2022CONTROL-Studie untersucht optimale Thearpiedauer von Neratinib, um Rezidivrisiko bei Brustkrebs zu minimieren und Verträglichkeit zu gewährleisten.

Erschienen am 25.04.2022CONTROL-Studie untersucht optimale Thearpiedauer von Neratinib, um Rezidivrisiko bei Brustkrebs zu...

© SciePro – stock.adobe.com

Neoadjuvante Therapie bei Brustkrebs

Bei Patientinnen mit LABC wird eine neoadjuvante Therapie empfohlen, um eine brusterhaltende Operation zu ermöglichen oder um die Größe von LABC zu reduzieren, die zuvor als in­operabel galten.

Mittels einer neoadjuvanten Therapie sind Vorhersagen zum Therapieansprechen und eine rasche Beurteilung einer geeigneten Behandlung und deren Wirksamkeit möglich. Deshalb wird in den Leitlinien des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) empfohlen, die neoadjuvante Therapie bei Frauen mit LABC als integralen Bestandteil eines multimodalen Ansatzes zu betrachten, der auch Chirurgie, Strahlentherapie, Hormontherapie und/oder zielgerichtete Therapie umfasst.

Dabei wird die neoadjuvante Therapie, die ursprünglich bei LABC eingesetzt wurde, immer häufiger bei Patientinnen mit operablem Brustkrebs eingesetzt, insbesondere bei solchen mit größeren Primärtumoren. Die neoadjuvante Therapie besteht entweder aus mehreren Zyklen Chemotherapie oder endokriner Therapie.

Die neoadjuvante Chemotherapie wird bei Patientinnen mit LABC durchgeführt, die T3 oder T4 und N2 oder N3 Tumoren (nach der TNM-Klassifikation) aufweisen. Die neoadjuvante endokrine Therapie wird für Patientinnen mit Hormonrezeptor-positiven Tumoren empfohlen.

Neoadjuvante Chemotherapie

Die neoadjuvante Chemotherapie wurde in den 1970er Jahren zur Behandlung von Brustkrebs eingeführt, um bei LABC eine Operation zu ermöglichen. Anthrazyklin- und Taxan-basierte Therapieschemata sind der Standard für die primäre neoadjuvante Chemotherapie bei LABC. Die am häufigsten verwendete Kombination ist die 2- oder 3-wöchentliche Doxorubicin-Cyclophosphamid-Kombination, gefolgt von 12 wöchentlichen Paclitaxel- oder 4 3-wöchentlichen Docetaxel-Zyklen, deren Wirksamkeit bereits nachgewiesen wurde. Bei HER2-positivem Brustkrebs umfasst die neoadjuvante Chemotherapie die Verabreichung einer Chemotherapie mit Anti-HER2-Antikörpern wie Trastuzumab und Pertuzumab.

Neoadjuvante endokrine Therapie

Die neoadjuvante endokrine Therapie kann für LABC-Patientinnen mit Östrogenrezeptoren (ER)- oder Progesteronrezeptoren (PR)-positiven Tumoren von Vorteil sein, da sie die Tumorgröße reduzieren und die Rate brusterhaltender Operationen verbessern kann. Im Rahmen der neo­adjuvanten endokrinen Therapie werden Aromatase-Inhibitoren wie Letrozol, Anastrozol und Exemestan eingesetzt, oder es wird eine Antihormontherapie mit Tamoxifen oder Fulvestrant durchgeführt. In den meis­ten Fällen dauert eine neo­adjuvante endokrine Therapie 3 bis 6 Monate. Bezüglich der Wirksamkeit der neoadjuvanten endokrinen Therapie ergaben sich vielversprechende Ergebnisse bei ER-positiven Brustkrebs-Patientinnen, sodass diese weniger toxisch als die neoadjuvante Chemotherapie sein könnte.
 
 

Lesen Sie mehr zu diesem Thema:

Wichtige Empfehlungen für die gynäko-onkologische Praxis

Erschienen am 24.05.2022Im Interview stellt Dr. Steffen Wagner vom BNGO die wichtigsten neuen Empfehlungen der AGO Kommission Mamma für 2022 vor.

Erschienen am 24.05.2022Im Interview stellt Dr. Steffen Wagner vom BNGO die wichtigsten neuen Empfehlungen der AGO Kommission...

© 7activestudio - stock.adobe.com

Nebenwirkungen können die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen

Während einer neoadjuvanten Chemotherapie können unangenehme Symptome auftreten, und die Patientinnen erleben oft negative Auswirkungen auf ihre Lebensqualität und auch insbesondere auf ihre psychische Verfassung.

Klinische Symptome

Die Patientinnen leiden z.B. unter peripherer Neuropathie, die durch Taxane verursacht werden kann. Diese ist durch Taubheitsgefühle, Parästhesien und Schmerzen gekennzeichnet. Außerdem können anhaltende Schmerzen mit einer schlechten Lebensqualität nach der Behandlung einhergehen. Studien haben hier ergeben, dass 87% der Brustkrebs-Patientinnen während der Chemo­therapie unter Schmerzen leiden.

Ebenso beeinflusst Fatigue das Leben der Patientinnen in vielerlei Hinsicht negativ. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Fatigue bereits vor Beginn der Behandlung auftritt. Insbesondere in Verbindung mit Schmerzen oder anderen Symptomen kann Fatigue Ängste und Depressionen verstärken. Übelkeit und Erbrechen werden besonders häufig unter der Kombination von Doxorubicin und Cyclophosphamid festgestellt. Die Chemotherapie-induzierte Alopezie kann erheblichen psychischen Stress verursachen und das Körperbild und die Lebensqualität maßgeblich beeinträchtigen.

Ein klinisch signifikanter Anteil der Patientinnen leidet zudem an Diarrhoe, oraler Mukositis und febriler Neutropenie. Außerdem entwickeln zahlreiche Patientinnen eine Neutropenie (Grad 4).

Psychischer Stress ist bei Brustkrebs-Patientinnen häufig, wirkt sich negativ auf die Lebensqualität aus und erhöht das Sterberisiko. Wenn den Patientinnen keine Behandlung/Unterstützung zur Verbesserung des psychischen Zustands angeboten wird, entstehen Probleme, wie mangelnde Compliance, die Nichtbeteiligung an therapeutischen Entscheidungen und die Zunahme der Patientinnenbesuche, die für das Onkolog:innen-Team belastend sind.

Die psychische Belastung zeigt sich vor allem durch Angststörungen und/oder Depressionen. Etwa zwei Drittel der Brustkrebs-Patientinnen sind davon betroffen. So haben Metaanalysen ergeben, dass 32,2% der Patientinnen unter Depressionen und 41,9% unter Angstzuständen leiden. Dies kann sich zusätzlich negativ auf die körperliche Leistungsfähigkeit auswirken und die Lebensqualität beeinträchtigen. Ebenso kann die Fähigkeit zur Einhaltung der Therapie sowie Sterblichkeit der betroffenen Patientinnen dadurch beeinflusst werden.

Bewältigungsstrategien während einer neoadjuvanten Therapie

Die körperlichen und psychischen Symptome beeinträchtigen zunehmend das tägliche Leben der Brustkrebs-Patientinnen, indem sie ihre soziale Rolle in der Familie und in der Gemeinschaft einschränken. Die betroffenen Frauen entwickeln negative Gefühle, die wiederum zu einer schlechten Wahrnehmung des Selbstbildes führen, die Sexualität beeinträchtigen und das Selbstwertgefühl mindern.

Dies ist ein Grund, Bewältigungsstrategien anzuwenden. Hierfür kommen unterschiedliche Maßnahmen wie Yoga oder religiöse Praktiken infrage. Ebenso wichtig sind die soziale und familiäre Unterstützung. Die Bewältigungsstrategien sind wichtige Elemente, die die Patientinnen vor psychosozialen Belastungen schützen. Dabei geht es nicht nur um die Bewältigung der Krankheit, sondern auch um die Bewältigung der Therapie-bedingten Nebenwirkungen wie Schmerzen und anderer Symptome, die die Lebensqualität langfristig beeinflussen.
 

Lesen Sie mehr zu diesem Thema:

Die AGO-Empfehlungen 2022 sind da

Erschienen am 05.05.2022Was hat sich bei den Empfehlungen der AGO zum Mammakarzinom geändert? Verschaffen Sie sich mit uns einen Überblick!

Erschienen am 05.05.2022Was hat sich bei den Empfehlungen der AGO zum Mammakarzinom geändert? Verschaffen Sie sich mit uns einen...

Weniger ängstliche Patientinnen entwickeln eher Lösungsstrategien

In einer Studie wurde festgestellt, dass Brustkrebs-Patientinnen, die sich einer Chemotherapie unterziehen und wenig Angst haben, Problemlösungsstrategien entwickeln, um mit ihrer Angst umzugehen, während depressive Symptome mit geringerem positiven „Reframing“, Schuldgefühlen und negativem Körperbild assoziiert waren. Brustkrebs-Patientinnen, die ansatz­orientierte Bewältigungsstrategien verwendeten, wiesen weniger Depressionen und Angstgefühle auf und hatten eine bessere Lebensqualität. Positive psychologische Eigenschaften wie Optimismus und adaptive Bewältigungsstrategien wie die Suche nach Problemlösungen und die Wahrnehmung positiver Aspekte tragen zur Verbesserung der psychologischen Anpassung und der Lebensqualität bei. Religion und Spiritualität können ebenfalls Depressionen verringern, die Lebensqualität verbessern und das Gefühl der Kontrolle verbessern.
 
Psychologische Belastung wird gemäß den NCCN „Guidelines for Managing Distress“ definiert als „eine multifaktorielle und unangenehme Erfahrung psychologischer (d.h. kognitiver, verhaltensbezogener, emotionaler), sozialer, spiritueller und/oder physischer Natur, die die Fähigkeit zur effektiven Bewältigung der Krebserkrankung, ihrer physischen Symptome und der Behandlung beeinträchtigen kann.“

Psychische Belastung und Bedürfnisse der Patientinnen berücksichtigen

Diese Ergebnisse weisen darauf hin, wie wichtig es ist, die psychische Belastung, die Lebensqualität sowie die Anpassungsversuche und die Bedürfnisse der Patientinnen während einer neoadjuvanten Therapie zu erfassen und im Rahmen der Behandlung zu berücksichtigen.

Eine neoadjuvante Therapie kann für Frauen mit Brustkrebs eine unangenehme Erfahrung sein und sich auf die Lebensqualität und die sozialen Aktivitäten auswirken. In dieser Übersichtsarbeit wurden darüber hinaus der Grad der Lebensqualität und deren psychologische, soziale und physische Dimension während der Behandlung sowie die biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren, die mit dem Ausmaß der psychischen Belastung, dem Vorhandensein von Depressionen und Angstzuständen und der Art der von den Patientinnen angewandten Bewältigungsstrategien assoziiert sind, umfassend bewertet. Damit soll der Zusammenhang zwischen häufigen psychischen Problemen und biopsychosozialen Faktoren bei Patientinnen mit LABC unter neoadjuvanter Therapie beleuchtet und ein besseres Verständnis auch für die psychologische Situation der betroffenen Frauen erreicht werden. Dies kann den Erfolg der neo­adjuvanten Therapie bei Brustkrebs maßgeblich beeinflussen. Außerdem sollen die Ergebnisse dazu beitragen, wichtige Behandlungsoptionen, wie z.B. psychosoziale Unterstützung, für die Patientinnen aufzuzeigen und in die Klinik zu integrieren, um eine adäquate Versorgung während der neoadjuvanten Therapie zu gewährleisten. Ebenso könnten daraus auch Wege für den Einsatz in der Psychoonkologie abgeleitet werden.

Quelle: Omari M, Zarrouq B, Amaadour L et al. Psychological Distress, Coping Strategies, and Quality of Life in Breast Cancer Patients Under Neoadjuvant Therapy: Protocol of a Systematic Review. Cancer Control 2022;29:10732748221074735.


Sie können folgenden Inhalt einem Kollegen empfehlen:

"Aspekte zu Nebenwirkungen, psychosozialen Faktoren und Lebensqualität"

Bitte tragen Sie auch die Absenderdaten vollständig ein, damit Sie der Empfänger erkennen kann.

Die mit (*) gekennzeichneten Angaben müssen eingetragen werden!

Die Verwendung Ihrer Daten für den Newsletter können Sie jederzeit mit Wirkung für die Zukunft gegenüber der MedtriX GmbH - Geschäftsbereich rs media widersprechen ohne dass Kosten entstehen. Nutzen Sie hierfür etwaige Abmeldelinks im Newsletter oder schreiben Sie eine E-Mail an: rgb-info[at]medtrix.group.