JOURNAL ONKOLOGIE 05/2023
Kräfte bündeln – zielGENau e.V. vernetzt Lungenkrebs-Betroffene mit Treibermutationen
Die Identifizierung der Treibermutationen beim NSCLC hat in den vergangenen Jahren Patient:innen neue Therapiemöglichkeiten eröffnet (Abb. 1). Solche Betroffene, die zielgerichtet therapiert werden, können je nach Submutation mediane Überlebenszeiten von teilweise über 5 Jahren erreichen. Dabei sind die Nebenwirkungen der Therapien, bei gleichzeitig hohem Ansprechen, in der Regel gut zu managen. Betroffene gewinnen so wertvolle Lebensjahre, können ihre Kinder aufwachsen sehen und teilweise ihren Beruf weiter ausüben – trotz fortgeschrittenem Lungenkrebs. Dies war noch vor 10 Jahren ein undenkbares Szenario. Durch diese neuen Therapien leben Patient:innen mittlerweile auch lange genug, um sich zu organisieren: Im Juni 2020 wurde der Verein „zielGENau e.V. – Patienten-Netzwerk für Personalisierte Lungenkrebstherapie“ von Betroffenen gegründet, die viele Jahre mit zielgerichteten Therapien überlebt haben und ihr Wissen weitergeben wollen.
Molekulare Diagnostik
Um die bestmögliche Behandlung zu finden, ist mittlerweile durch die Vielzahl an Therapieoptionen eine molekulare Diagnostik unabdingbar. ZielGENau e.V. setzt sich für eine umfassende, flächendeckende molekulare Diagnostik bei jedem Betroffenen mit NSCLC ein – unabhängig von einer Raucherhistorie. Dafür kooperiert der Verein eng mit dem nationalen Netzwerk Genomische Medizin (nNGM) Lungenkrebs. Ein Ziel des Vereins ist, dass Lungenkrebs-Patient:innen in Deutschland, unabhängig von Wohnort oder Behandlungsteam, eine qualitätsgesicherte Diagnostik in den Netzwerkzentren bzw. über die Netzwerkpartner bekommen und darauf basierend auch eine Therapieempfehlung, die auf dem aktuellen Wissensstand ist. Das schließt Zugang zu Studien und den Off-label-use von Medikamenten mit ein – nicht nur bei der Erstdiagnose, sondern auch, wenn Resistenzmutationen oder Ko-Mutationen auftauchen und die nächste Therapie gefunden werden muss.Kooperative Netzwerkstrukturen
Eine gute Versorgung ist vor allem dann möglich, wenn sie eingebunden ist in kooperative Netzwerkstrukturen, zwischen Forscher:innen, Lungenkrebsexpert:innen und Patient:innen. ZielGENau e.V. ist mutationsübergreifend tätig und vertritt die Stimme der Betroffenen gegenüber dem Gesundheitssystem. Die einzelnen Gruppen mit z.B. ALK-, BRAF-, EGFR-, KRAS- oder ROS1-positivem Lungenkrebs sind über zielGENau e.V. miteinander vernetzt und agieren überwiegend online – die „klassische Selbsthilfe“ wird hier neu und weiter gedacht. Die Vernetzung erfolgt auch international, mit Patientenorganisationen wie z.B. „ALK positive“, den „EGFResisters“ oder „The ROS1ders“. Hinzu kommt, dass diese Patient:innen überwiegend jünger (im Schnitt 20 Jahre; bei ALK+ und ROS1+ vielfach unter 40 Jahren) und damit online-affiner sind als die/der „klassische“ Lungenkrebspatient:in.ZielGENau e.V. ist auch in „allgemeinen“ Lungenkrebsgruppen aktiv und steuert Patient:innen in die spezifischen Mutationsgruppen. Das ist wichtig für die Betroffenen aus seltenen Subgruppen sowie für Patient:innen mit vielversprechenden, aber noch nicht zugelassenen Behandlungsmöglichkeiten. In „ihren“ Gruppen können sich Betroffene über den Umgang mit Nebenwirkungen zu ihren jeweiligen Medikamenten austauschen, Erfahrungen weitergeben und wichtige Infos wie etwa zu neuen Studien, Forschungserkenntnissen bzw. Medikamenten-Neuzulassungen teilen.
Mehr Mutationen – weniger Patient:innen
Zwar wird die Gruppe der Patient:innen, die von einer personalisierten Therapie profitieren können, an sich größer. Gleichzeitig wird aber die Zahl der Betroffenen pro Mutationsgruppe geringer – die Patient:innen-Gruppen splitten sich auf. Außerdem kommt es unter zielgerichteten Therapien zu einer weiteren Fragmentierung, da die Krebszellen mutieren und resistent werden und eine neue Therapie eingeleitet werden muss. Diese Situation ist ein Problem. Denn um randomisierte kontrollierte Studien durchzuführen, in denen neue Medikamente untersucht und mit bisherigen Standardtherapien verglichen werden, braucht es eine relativ große Anzahl von Patient:innen. Die Folge: Patient:innen mit seltenen Lungenkrebsvarianten drohen bei der Entwicklung neuer Therapieansätze „hintenüber zu fallen“. Hinzu kommt, dass Lungenkrebs im Gegensatz zu beispielsweise Brustkrebs nach wie vor „underfunded“ ist und generell weniger Forschungsgelder in diesen Bereich fließen.In den USA können viele Patient:innen durch ihre Teilnahme an mehreren, aufeinander folgenden frühen klinischen Studien jahrelang überleben. Betroffene, die zielgerichtet therapiert werden, sind häufig auf den Zugang zu Phase-I/II-Studien angewiesen bzw. auf den Medikamentenzugang im Off-label-use – auch ein Problem, das der Verein adressiert. In Deutschland stehen Betroffenen weit weniger frühe Studien zur Verfügung als in den USA, und gegenüber europäischen Nachbarländern können neue Studien oft erst mit einem Zeitverzug von einigen Monaten starten. Dies hat fatale Konsequenzen für deutsche Patient:innen mit einer tödlichen Erkrankung.
Wissensaufbau durch Webinare
Der Verein zielGENau e.V. veranstaltet Webinare für die verschiedenen Mutationsgruppen. Bislang informierten Lungenkrebsexpert:innen für ALK, EGFR, KRAS und ROS1 aus den nNGM-Zentren Köln, Heidelberg und Frankfurt die Patient:innen über aktuelle Therapien und den Stand der Forschung. Eine Besonderheit des Formats ist, dass Patient:innen viel Zeit eingeräumt wird, ihrer jeweiligen Expertin/ihrem Experten Fragen stellen zu können. Denn der Bedarf ist groß: Der Wissenstand nimmt kontinuierlich zu, neue Treibermutationen werden entdeckt, neue Medikamente entwickelt und in Studien erprobt. ZielGENau e.V. möchte, dass Patient:innen Wissen aufbauen und sich informieren, damit sie ihre Chancen nutzen können.Patient:innenbeteiligung wird in den nächsten Jahren auch in Deutschland fest im Gesundheitssystem verankert werden – zum Vorteil für alle Beteiligten. Betroffene, die Expert:innen in eigener Sache sind und den aktuellen Stand der Forschung kennen, helfen sich selbst, anderen Betroffenen und auch den Ärzt:innen, die von „real world talk“ und einer fundierten Patient:innenperspektive profitieren. ZielGENau e.V. bringt bei dem Innovationsfonds-geförderten Projekt „DigiNet“, dessen Ziel eine bessere Steuerung personalisierter Lungenkrebstherapie durch digitale Vernetzung von Behandlungspartnern und Patient:innen ist, die Patient:innenperspektive mit ein.
Awareness schaffen
„Lungenkrebs trifft nur ältere, langjährige Raucher, meistens Männer.“ So weit, so falsch. Patient:innen, für die eine zielgerichtete Therapie in Frage kommt, sind ca. 20 Jahre jünger und Frauen überproportional häufig betroffen. Doch Bilder sind mächtig und halten sich hartnäckig in den Köpfen. Das ist fatal, denn gerade bei jüngeren, sportlichen Patient:innen, die vor allem Nieraucher bzw. ehemalige Raucher (oder auch leichte Raucher) sind, wird immer noch selten zuerst an Lungenkrebs gedacht. Über die Schleife Asthma, verschleppte Bronchitis oder psychische Beschwerden bis zur Krebsdiagnose kann viel Zeit verstreichen, die der Krebs nutzt, um sich weiter auszubreiten. Patientenorganisationen wie zielGENau e.V. wollen dieses Bild ersetzen. Auf der Webseite des Vereins sind deshalb auf der Startseite Bilder von „typischen“ Lungenkrebspatient:innen zu sehen, die zielgerichtet therapiert werden.Weitere Informationen zum Verein, zu den unterschiedlichen Treibermutationen und der Ärzt:innen- und Studiensuche und zu den Webinaren finden Sie auf:
www.zielgenau.org
www.nngm.de
https://diginet.nngm.de
Es besteht kein Interessenkonflikt.
Sabine Hatzfeld
Vorstandsmitglied
zielGENau e.V,
Patienten-Netzwerk für Personalisierte Lungenkrebstherapie
Kerpener Straße 62
50937 Köln
E-Mail: sabine.hatzfeld@zielgenau.org
Vorstandsmitglied
zielGENau e.V,
Patienten-Netzwerk für Personalisierte Lungenkrebstherapie
Kerpener Straße 62
50937 Köln
E-Mail: sabine.hatzfeld@zielgenau.org
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