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Medizin

Krebsbedingter Herz-Schwund – Neue Form der Kardiomyopathie entdeckt

Krebsbedingter Herz-Schwund – Neue Form der Kardiomyopathie entdeckt
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Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben viel gemeinsam. Sie sind nicht nur in ihrer Häufigkeit und durch gemeinsame Risikofaktoren wie Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte, schlechte Ernährung, Bewegungsmangel oder Diabetes mellitus eng miteinander verknüpft (1). Wer schwer an Krebs erkrankt, kann im fortgeschrittenen Stadium – auch unabhängig von Folgeschäden einer Krebstherapie auf das Herz – eine bisher so noch nicht bekannte Form der Herzmuskelerkrankung entwickeln. Diese „cardiac wasting-associated cardiomyopathy“ ist durch einen Schwund an Herzmuskelmasse gekennzeichnet. Ein Forscherteam um Dr. Markus Anker und Dr. Alessia Lena von der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC), Campus Benjamin Franklin (Klinikdirektor Prof. Dr. Ulf Landmesser), hat diese für die klinische Behandlung von Krebspatient:innen besonders wichtige Entdeckung in einer Untersuchung von 300 Krebspatient:innen erstmalig ausführlich im Detail beschrieben. Ihre im „Journal of the American College of Cardiology“ publizierte Arbeit (2) wurde mit dem Wilhelm P. Winterstein-Preis der Deutschen Herzstiftung ausgezeichnet.
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Bei Patient:innen mit fortgeschrittenem Krebs kommt es häufig zu einer Tumorkachexie

Bei Patient:innen mit Krebs im fortgeschrittenen Stadium kommt es häufig zu einer Tumorkachexie, die durch Mangelernährung mit dem Abbau von Fett- und skelettaler Muskelmasse gekennzeichnet ist. Je nach Stadium und Art der Krebserkrankung sowie den Begleiterkrankungen kommt es zu dieser Kachexie bei 30 bis 80% der Tumorpatient:innen (3). Die Krankheitsmechanismen, die dem Verlust an Fett- und skelettaler Muskelmasse zugrunde liegen, sind insbesondere chronische und systemische Entzündungen. Sie werden durch Zytokine vermittelt, die den Hormon- und Stoffwechselhaushalt beeinträchtigen und so den Abbau der Muskulatur befördern (3).

Abbau skelettaler Muskelmasse geht auch auf das Herz

Durch Studien ist bekannt, dass diese von der Krebserkrankung verursachten Prozesse auch am Herz zu strukturellen und hämodynamischen Veränderungen führen und in Herzrhythmusstörungen und Herzschwäche münden können (1). Das DHZC-Team um Dr. Anker und Dr. Lena konnte in seiner Untersuchung erstmalig in solch einer großen Kohorte zeigen, dass es im Zuge der Kachexie auch zum Schwund von Herzmuskelmasse in der linken Herzkammer kommt und konnte eine damit einhergehende neue Form der Kardiomyopathie beim Menschen erforschen (2). Dr. Anker, Dr. Lena und Kollegen bezogen in ihre klinische Studie 300 Patient:innen mit aktiver und überwiegend fortgeschrittener Krebserkrankung ein, bei denen zu Studienbeginn keine signifikante Herz- und Gefäßerkrankung feststellbar war. Alle Probanden wurden einer umfassenden echokardiografischen und klinischen Untersuchung sowie einer Biomarker-Bestimmung unterzogen. 90 Krebspatient:innen erhielten nach durchschnittlich 4 Monaten ein erneutes Echokardiogramm. Zur Kontrolle wurden auch 60 gesunde Personen und 60 Patient:innen ohne Tumorerkrankung, aber mit chronischer Herzinsuffizienz in die Studie einbezogen (2).
 
 

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Abnahme der linksventrikulären Herzmasse bei Krebspatient:innen

Die Untersuchungen deuten darauf hin, dass Krebspatient:innen im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium eine deutliche Abnahme der linksventrikulären Herzmasse aufweisen. Bei Krebspatient:innen mit Kachexie beträgt diese Reduktion circa 20% im Vergleich zu gesunden Personen (153g vs. 203g linksventrikuläre (LV)-Masse im Durchschnitt). Zum Vergleich: bei den Patient:innen ohne Tumorerkrankung, aber mit chronischer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF), war die Masse des linken Ventrikels fast doppelt so hoch wie bei den kachektischen Krebspatient:innen (im Mittel 300g) (2). „Der Schwund an Herzmasse bei Krebspatient:innen ist am höchsten, wenn eine Kachexie vorliegt“, berichtet Dr. Anker. Der Verlust der Herzmuskelmasse bei Krebspatient:innen hat eine hohe Dynamik. Nach einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von nur 4 Monaten wurde eine Abnahme der LV-Masse von im Durchschnitt 9% beobachtet, und 44% der Krebspatient:innen wiesen eine um mindestens 10% reduzierte LV-Masse auf. Auffällig war: Das „cardiac wasting“, der Schwund an Herzmasse, trat unabhängig von der Art der Krebstherapie auf, also ob mit kardiotoxischen oder ohne kardiotoxische Nebenwirkungen. Und sie trat auch bei Krebspatient:innen auf, die noch gar keine systemische Krebstherapie erhalten hatten (2). „Die Folgen einer verringerten LV-Masse im Herzen sind für die Krebspatient:innen bedeutend. Denn ohnehin schwer durch Krebs geschwächt, leiden die Patient:innen zusätzlich an Einbußen ihrer Herzfunktion mit Symptomen einer Herzschwäche“, betont die DHZC-Forscherin Dr. Lena.

Erhöhte Gesamtsterblichkeit durch Verlust von LV-Masse

Die Forschenden konnten ebenfalls zeigen, dass der Verlust an LV-Masse im Herzen bei Krebserkrankung mit einer erhöhten 1-Jahres-Gesamtsterblichkeit einhergeht. Im Zuge der Nachbeobachtung von durchschnittlich 16 Monaten starben 149 Patient:innen, die 1-Jahres-Gesamtsterblichkeit betrug 43%. Angesichts des schweren Krankheitszustands der untersuchten Krebspatient:innen haben die Forschenden bei ihrer Analyse kritische Faktoren berücksichtigt wie Krebsstadium und Krebsart, Biomarker für direkte Veränderungen im Herzmuskel (NT-proBNP, Troponin), Entzündungsmarker wie C-reaktives Protein (CRP) und Interleukin-6 (IL-6) und den Hämoglobinwert (2).

Methodische Schwachstelle erschwert Diagnose krebsbedingter Kardiomyopathie

Dass sich die Verringerung der LV-Masse des Herzens bisher unter dem Radar von Studien und der klinischen kardialen Bildgebung befand, führt das Forschungsteam auch auf eine Lücke in der gängigen Diagnose-Praxis zurück. Denn bei der Berechnung der LV-Masse von Krebspatient:innen wird eine Anpassung an die Körperoberfläche (BSA) vorgenommen. Das sei in diesem Fall jedoch nicht zielführend. „Am besten wird die Verringerung der linksventrikulären Masse des Herzens erkannt, wenn keine Korrektur für die Körperoberfläche erfolgt, sondern nur eine Korrektur für die Körpergröße durchgeführt wird“, betonen die Forschenden und resümieren: „Die BSA-Korrektur ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass über die hier beschriebene, sehr häufig auftretende „cardiac wasting-associated cardiomyopathy“ bei Krebspatient:innen bisher nicht in aussagekräftiger Weise berichtet wurde“ (2). Die beiden Winterstein-Preisträger Dr. Anker und Dr. Lena sind überzeugt, dass ihre Studie bedeutende und unmittelbare klinisch-therapeutische Auswirkungen haben wird. Mit dieser Arbeit wird ein neues Forschungsfeld in der Kardio-Onkologie eröffnet.
 
 

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Quelle: Deutsche Herzstiftung

Literatur:

(1) de Boer R.A. et al. Common mechanistic pathways in cancer and heart failure. A scientific roadmap on behalf of the Translational Research Committee of the Heart Failure Association (HFA) of the European Society of Cardiology (ESC). Eur J Heart Fail. 2020, Abrufbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ejhf.2029, Letzter Zugriff: 24.08.2023.
(2) Lena A. et al. Clinical and Prognostic Relevance of Cardiac Wasting in Patients With Advanced Cancer. J Am Coll Cardiol. 2023, Abrufbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0735109723045254?via%3Dihub, Letzter Zugriff: 24.08.2023.
(3) von Haehling S. et al. Prevalence and clinical impact of cachexia in chronic illness in Europe, USA, and Japan: facts and numbers update 2016. J Cachexia Sarcopenia Muscle. 2016, Abrufbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/jcsm.12167, Letzter Zugriff: 24.08.2023.


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