Wie Patient-reported Outcomes die personalisierte Therapie optimieren
Anja Lehner-UlshöferPatient-reported Outcomes (PROs) sind direkte Berichte von Patient:innen über ihren Gesundheitszustand und umfassen Symptome, Funktionseinschränkungen und die Lebensqualität. Durch die systematische und standardisierte Erfassung über Fragebögen ermöglichen PROs eine detaillierte Patientenperspektive vor, während und nach der Behandlung. Diese Daten tragen u.a. dazu bei, den Therapieverlauf besser zu beurteilen, gezielt zu intervenieren und zukünftige Behandlungsansätze präziser zu planen.
Relevanz der Patientenperspektive
In der onkologischen Behandlung von Patient:innen stellt sich die Herausforderung, dass das Gesundheitssystem häufig nicht die notwendigen Daten liefert, um die Wirksamkeit von Therapien ganzheitlich zu bewerten. Während klinisches Personal oftmals objektive Toxizitäten und Laborergebnisse erfassen kann, sind es die Patient:innen selbst, die ihre subjektiven Symptome und Funktionseinschränkungen am besten beschreiben können. Studien belegen wiederholt, dass medizinisches Fachpersonal oft die Schwere und Häufigkeit von Symptomen und Nebenwirkungen unterschätzt. Dies gilt v.a. bei Symptomen, die nicht lebensbedrohlich sind, aber die Lebensqualität der Patient:innen erheblich beeinträchtigen können [1]. Diese Diskrepanz zwischen der ärztlichen Einschätzung und der Patientenberichterstattung unterstreicht die Notwendigkeit, die Perspektive der Patient:innen nicht nur in der Forschung, sondern auch in der Routineversorgung fest zu etablieren. Die Integration der Patientenperspektive in die Behandlung kann dabei die Behandlungsergebnisse und die Nutzung von Gesundheitsressourcen verbessern [2].
Definition PRO, ePRO und PROM
PROs sind nach Definition der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA jegliche Berichte über den Gesundheitszustand von Patient:innen, die direkt von den Patient:innen stammen, d.h. ohne die Interpretation der Antworten der Patient:innen durch Ärzt:innen oder eine andere Person [3]. Sie spiegeln somit die patienteneigene Einschätzung zur Symptomatik, zu Funktionseinschränkungen und der allgemeinen Lebensqualität wider. Darunter zählen z.B. Schmerzen, Übelkeit oder Schlafprobleme. Patient-reported Outcome Measures (PROMs) sind die Werkzeuge, um die Patientenperspektive zu messen. In der Regel kommen standardisierte Fragebögen zum Einsatz, die analog oder digital von den Patient:innen ausgefüllt werden [4]. Die digitale Erfassung der Patientenperspektive (ePRO) erfolgt über Computer, Tablet oder Smartphone und bietet den Vorteil einer benutzerfreundlichen, effizienten und zeitnahen Datenerfassung [5].
Auswahl geeigneter PROs/PROMs
Bei der Auswahl von PROs und der entsprechenden PROMs sind mehrere Entscheidungen zu treffen [1, 4]:
1. Schritt: Definition des Ziels, der Zielpopulation und des Umfangs der PRO-Erfassung
2. Schritt: Konzeptuelle Auswahl relevanter PROs abhängig vom Anwendungsfall wie z.B. körperliche Funktionsfähigkeit oder Angst
3. Schritt: Auswahl des entsprechenden PROMs als standardisiertes Erfassungsinstrument des PROs
4. Schritt: Festlegung der Befragungsart (papierbasierte oder elektronische Erfassung).
Zu unterscheiden sind dabei generische PROMs, die generell als Fragebogen bei allen onkologischen Erkrankungen einsetzbar sind. Sie ermöglichen z.B. einen besseren Vergleich zwischen Studien oder Populationen. Erkrankungsspezifische PROMs hingegen erfassen zielgenau relevante tumorentitätsspezifische Aspekte aus der Patientenperspektive. Der Trend geht zu einer Vereinheitlichung und die Patientenperspektive wird in einem generischen und tumorentitätsspezifischen Teil erfasst [4]. Das International Consortium for Health Outcomes Measurement (ICHOM) bietet hierzu verschiedene Zusammenstellungen über relevante PROs und über 46 standardisierte Sets zur Erfassung dieser PROs bei spezifischen Erkrankungen [6].
Anwendung und Nutzen von PROs
PROs werden in zahlreichen Kontexten gesammelt und analysiert, um die Qualität der Versorgung auf verschiedenen Ebenen zu verbessern. Die Anwendungen lassen sich in die Kategorien medizinische Intervention, qualitätsorientierte Steuerung und Evidenzgenerierung in Forschung und Public Health einteilen. Im Rahmen der medizinischen Intervention gibt es folgende Anwendungsfelder für eine unmittelbare individuelle Patientenversorgung [4, 5]:
Individuelle Patientenbetreuung
PROs ermöglichen es, Symptome und Belastungen der Patient:innen gezielt zu erfassen – vor, während oder nach einer Therapie. Durch die PRO-Erfassung kann es gelingen, das Patientenwohl stärker in den Mittelpunkt der medizinischen Versorgung zu stellen [4].
Diagnostik: PRO unterstützen Behandelnde, Funktionseinschränkungen und Symptome vollständig und systematisch zu erfassen sowie einzuschätzen. Die Diagnosestellung beruht auf einer umfassenden Datengrundlage, die die Patientenperspektive einbezieht [5].
Patientenmonitoring: Hierbei werden Patient:innen in festen Zeitintervallen befragt, um gesundheitliche Veränderungen während der Therapie oder bei einer chronischen Erkrankung zu dokumentieren [5]. Eine hohe Evidenz gibt es im Monitoring durch PROs unter Chemotherapie [4].
Therapiesteuerung: Ziel ist es, mit Hilfe von PROs Veränderungen frühzeitig aufzudecken und gezielte Interventionsmaßnahmen einzuleiten.
Behandlungsplanung: PROs besitzen prädiktive Eigenschaften für Ereignisse wie Notaufnahmekontakte, Hospitalisierungen oder das Überleben. In Folge können bestimmte Risiken für Patient:innen besser eingeschätzt werden [4].
Patient Empowerment
Wissensvermittlung: Patient:innen können mit Hilfe von PROs umfassend über die Folgen ihrer Erkrankung und der jeweiligen Therapie aufgeklärt werden. Prädiktive Modelle ermöglichen einen Vergleich unterschiedlicher Behandlungsmöglichkeiten unter gleichzeitiger Berücksichtigung patientenindividueller Eigenschaften [4, 5].
Verlaufsübersicht: Patient:innen können eine Übersicht über ihre erfassten Krankheitssymptome bzw. ihren Krankheitsverlauf erhalten. Dies stärkt das Selbstmanagement und unterstützt bei der Krankheitsbewältigung [5].
Adhärenz: Die patientenseitige Auseinandersetzung mit der eigenen Erkrankung kann zu einer größeren Therapieadhärenz beitragen [5].
Shared Decision Making: Das zunehmend anerkannte Gewicht der Patientenperspektive legt den Grundstein für Shared Decision Making, bei dem Patient:innen aktiv in Therapie-Entscheidungsprozesse eingebunden sind [5].
PROs in der Qualitätssicherung und Forschung
PROs stellen parallel zur individuellen Patientenversorgung eine wertvolle Ergänzung in der Qualitätssicherung und -entwicklung dar. Die häufig aggregierten Daten können als Indikator für eine qualitätsorientierte Steuerung z.B. bei Zertifizierungen, Marktzugängen und Public Reporting dienen. Dies ermöglicht z.B. datengestützte Anpassungen klinikinterner Behandlungspfade für eine bessere Versorgung der Patient:innen [5].
In der Forschung sind PROs fest etabliert und werden vermehrt in randomisierten kontrollierten Studien (RCTs) verwendet, um die Bewertung der Sicherheit und Wirksamkeit von Interventionen aus der Patientenperspektive zu erfassen. Sie können damit eine Evidenz liefern, die nicht aus den Berichten der Behandelnden oder aus der Bestimmung von Laborparametern gewonnen oder abgeleitet werden [7]. PROs können zudem auch relevante Einblicke in medizinische, psychologische und soziologische Fragestellungen liefern. Dies betrifft nicht nur klinische Studien, sondern auch gesundheitsökonomische und epidemiologische Untersuchungen sowie die Versorgungsforschung [5].
Notwendigkeit der Standardisierung und Interoperabilität
In der Vergangenheit erfolgte die Erfassung der PROs meist über analoge Fragebögen, die von verschiedenen Disziplinen unabhängig entwickelt wurden. Die Vergleichbarkeit der Daten war deutlich erschwert, weil zwar die gleichen Inhalte, jedoch unterschiedliche Fragen und Antwortoptionen genutzt wurden [8]. Eine standardisierte Erfassung und Interoperabilität verschiedener PROs stellen jedoch eine entscheidende Voraussetzung für die effektive Nutzung der Patientensicht dar. Um die Patientenperspektive beispielsweise in KI-Systeme zu integrieren, müssen eine große Menge an digitalen PRO-Daten vorliegen, die für alle Patientengruppen repräsentativ sind. Hierzu sind neben der inhaltlichen Koordination und wissenschaftlichen Evaluierung der PROM-Fragebögen auch die technische Umsetzung nach den FAIR-Prinzipien (Findable, Accessible, Interoperable, Reusable) zu realisieren. Die Interoperabilität stellt sicher, dass die Daten in einem einheitlichen Format erstellt und mittels internationaler IT-Standards (z.B. FHIR) übermittelt werden können [8].
Zusammenfassung und Ausblick
Das Potenzial der PROs, die Versorgung und Behandlung von onkologischen Patient:innen zu verbessern, ist enorm hoch. PROs unterstützen bei der Diagnostik und identifizieren frühzeitig Symptome und Funktionseinschränkungen, sodass gezielte Interventionen möglich sind. PROs helfen zudem bei der Entwicklung von Prädiktionsmodellen. Es gibt zunehmend Akteure im Gesundheitswesen, die PROs erfassen und auch in der Regelversorgung implementieren. Wichtig ist eine standardisierte und interoperable Erfassung, um die PROs sowohl in der klinischen Versorgung als auch in der Forschung verfügbar zu machen. Der Einsatz von KI in Verbindung mit interoperablen PRO-Daten kann die Datenanalyse und damit die Patientenversorgung in Zukunft erheblich verbessern.
Literatur:
1. Di Maio M, Basch E, Denis F et al. The role of patient-reported outcome measures in the continuum of cancer clinical care: ESMO Clinical Practice Guideline. Ann Oncol 2022;33:878-92.
2. Balitsky AK, Rayner D, Britto J et al. Patient-Reported Outcome Measures in Cancer Care: An Updated Systematic Review and Meta-Analysis. JAMA Netw Open 2024;7(8):e2424793.
3. U.S. Department of Health and Human Services FDA Center for Drug Evaluation and Research, U.S. Department of Health and Human Services FDA Center for Biologics Evaluation and Research, U.S. Department of Health and Human Services FDA Center for Devices and Radiological Health. Guidance for industry: patient-reported outcome measures: use in medical product development to support labeling claims: draft guidance. Health Qual Life Outcomes 2026;11(4):79.
4. Kowalski C, Wesselmann S, van Oorschot B et al. „Patient-reported outcomes“ in der onkologischen Versorgung – aktuelle Anwendungsfelder und Initiativen der Deutschen Krebsgesellschaft. Onkologie 2024;30:411-20.
5. Fürchtenicht A, Wehling H, Grote-Westrick M et al. Patient-Reported Outcoemes – Wie die Patientenperspektive die Versorgung transformieren wird. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) 2023; doi:10.11586/2023067.
6. International Consortium for Health Outcomes Measurement (ICHOM). Sets of Patient-Centered Outcome Measures, abrufbar unter https://www.ichom.org/patient-centered-outcome-measures/ (letzter Zugriff: 27.01.2025).
7. Brundage M, Crossnohere N, O’Donnell J et al. Listening to the Patient Voice Adds Value to Cancer Clinical Trials. JNCI J Natl Cancer Inst 2022;114:1323-32.
8. Thun S. Digitale Patient-Reported Outcome Measures (PROM). Handelsblatt Journal HEALTH, 07.11.2023; abrufbar unter https://live.handelsblatt.com/digitale-patient-reported-outcome-measures-proms/ (letzter Zugriff: 27.01.2025).