Duale Perspektive: Brustkrebsforscherin und Patientenvertreterin
Interview mit Cindy Körner, HeidelbergAntje Blum M.A. und Cindy KörnerCindy Körner ist promovierte Biologin und arbeitet als wissenschaftliche Angestellte am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, wo sie auch bereits ihre Masterarbeit und Doktorarbeit verfasst hat. Ihre Forschung beschäftigt sich seit 15 Jahren mit den molekularen Mechanismen, die der Entstehung und dem Fortschreiten von Brustkrebs zugrunde liegen. Dazu arbeitet sie vor allem mit isolierten Tumorzellen in Zellkultur-Flaschen und untersucht die Auswirkungen der Manipulation von zellulären Signalwegen z.B. auf Zellteilung, Zellmigration oder auf die Sensitivität gegenüber therapeutischen Substanzen. Nachdem sie 2015 bereits ihrer Mutter bei deren Brustkrebs-Erkrankung zur Seite stand, wurde sie 2020 mit ihrer eigenen Brustkrebs-Diagnose konfrontiert. Neben den körperlichen Folgen der medikamentösen Therapien, Bestrahlung und Operationen durchlebte sie auch die psychischen Herausforderungen, die mit der Erkrankung und der Behandlung zusammenhängen. Wir sprachen mit ihr darüber, wie sich ihre Perspektive auf die Krebsforschung verändert hat und warum sie sich nun als Patientenvertreterin (cindy.koerner@nct-patientenbeteiligung.de) in klinischen Studien und präklinischen Forschungsprojekten engagiert.
Cindy Körner, Heidelberg
Cindy, als Wissenschaftlerin in der Brustkrebsforschung wusstest du sicher recht genau, welche Behandlungen dich nach dieser Diagnose erwarten würden?
Das sollte man wohl denken. Manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass die behandelnden Ärzt:innen, die meinen beruflichen Hintergrund kannten, das annahmen. Leider war das weit gefehlt.
Als Wissenschaftlerin in der präklinischen Forschung war ich Expertin für den Umgang mit Zellkultur-Modellen, oder für die Manipulation von Genen, um deren Funktion aufzudecken. Ich kannte die verschiedenen Behandlungsoptionen und hatte mit vielen der Medikamente, die ich nun selbst bekommen sollte, Krebszellen behandelt und wusste, welche Reaktionen, sie in vitro auslösen würden.
Mir waren auch die Wirkmechanismen der Medikamente bekannt und die damit verbundenen Nebenwirkungen, die in Publikationen beschrieben sind. Aber ich hatte beispielsweise keine Ahnung, wie eine Chemotherapie praktisch abläuft und dass man neben dem eigentlichen Medikament noch einen Cocktail an weiteren Substanzen bekommt, um die Nebenwirkungen einzudämmen.
Es war mir in der Theorie auch klar, dass die Chemotherapie das Immunsystem schwächen kann, weil ich wusste, dass Immunzellen auf aktive Zellteilung angewiesen sind, die bekanntlich durch die Chemotherapie blockiert wird. Ich hatte allerdings keine Ahnung, dass dieser Effekt durch die Gabe von speziellen Wachstumsfaktoren abgeschwächt wird und dass man trotzdem teilweise vorsorglich Antibiotika nehmen muss, um Infekten vorzubeugen. Über solche praktischen Fragen hatte ich mir zuvor nie Gedanken gemacht, weil diese Aspekte in meinem wissenschaftlichen Umfeld nie thematisiert wurden; vermutlich, weil sie auch anderen nicht bewusst sind.
Du meinst also, dass Wissenschaftler:innen in der Krebsforschung nicht ausreichend über die Lebensrealität von Krebspatient:innen informiert sind?
Ja, genau. Und das ist besonders deshalb problematisch, weil diese Wissenslücke bisher nicht wirklich hinterfragt wurde. Im Gegenteil: Ich war z.B. ohne darüber nachzudenken davon überzeugt, aus Publikationen alles zu wissen, was ich wissen muss. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, mit einer Brustkrebs-Patientin zu sprechen oder einen Blog zu lesen, um echte Einblicke zu bekommen, was es bedeutet, mit der Erkrankung zu leben oder mit den Medikamenten, die wir untersuchen, behandelt zu werden. Und ich glaube, damit bin ich nicht allein.
Gibt es ein konkretes Beispiel, bei dem du gemerkt hast, dass die Realität anders ist als du sie erwartet hättest?
Mein Paradebeispiel ist immer Tamoxifen, ein Medikament, mit dem fast alle Brustkrebs-Patientinnen mit Hormon-abhängigem Brustkrebs vor den Wechseljahren behandelt werden. In den 10 Jahren Brustkrebsforschung vor meiner eigenen Erkrankung hatte ich hunderte Publikationen gelesen, in denen geschrieben stand, dass Tamoxifen gut verträglich ist und lediglich über den Zeitraum der Einnahme Wechseljahrbeschwerden hervorruft. Klingt ja echt machbar, kann man ja ruhig mal nehmen, oder?
Was ich dabei vorher nie bedacht hatte: Diese Publikationen waren geschrieben von Wissenschaftler:innen wie mir – mit null gelebter Erfahrung, wie sich das wirklich anfühlt.
Das wurde mir erst klar, als ich selbst mit der Einnahme begann und mich auch mit anderen Patientinnen unterhielt. Die Wechseljahrbeschwerden können sehr vielfältig sein. Viele Frauen nehmen teils massiv an Gewicht zu oder haben schreckliche Gelenkschmerzen. Ich hatte Hitzewallungen. Die sind tagsüber nervig und treten meistens in den unpassendsten Momenten auf; aber das lässt sich noch ganz gut ertragen. Nachts bedeuteten diese Hitzewallungen für mich, dass ich in den meisten Nächten nicht mehr länger als 3 Stunden am Stück schlafen konnte, weil ich entweder von der Hitzewallung aufwachte, oder weil mir kalt war, nachdem ich die Decke weggeschoben hatte. Das kann man mal ein paar Nächte tolerieren. Aber wenn man bedenkt, dass die Einnahmezeit 5-10 Jahre beträgt, trifft dieses „gut verträglich“ aus Patientensicht einfach überhaupt nicht zu.
Da braucht es viel mehr Dialog zwischen Forschenden und Patient:innen, um Bewusstsein dafür zu schaffen, mit welchen alltäglichen Herausforderungen wir konfrontiert sind und welche Forschungsfragen sich daraus ergeben. Um im Beispiel zu bleiben: wenn Forschende annehmen, dass Tamoxifen super verträglich ist, gibt es keine Notwendigkeit für eine bessere Stratifizierung, welche Patientinnen wirklich davon profitieren, und auch keine Notwendigkeit verträglichere Alternativen zu finden; von beidem würden allerdings unzählige Patientinnen durch verbesserte Lebensqualität profitieren.
Wie kam es dazu, dass du dich inzwischen als Patientenvertreterin engagierst?
Als ich vor knapp 2 Jahren davon gehört habe, dass im Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) künftig Patientenvertretende in die Konzeptionierung und Durchführung aller klinischer Studien eingebunden werden sollen, war ich noch ganz frisch in diesem Feld. Ich hatte mich erst kurz zuvor für den Patientenbeirat des NCT Heidelberg beworben, um dort zu patientenzentrierteren Strukturen in der Versorgung beizutragen. Der Gedanke, mich als Patientin in der Forschung zu engagieren, lag mir so fern wie der Gedanke, mich als Forscherin mit Patientinnen zu unterhalten. Auch wenn es grotesk klingt, aber das waren auch nach meiner Diagnose noch lang zwei klar getrennte Welten für mich.
Das hat sich massiv verändert: Inzwischen denke ich Projekte parallel aus Wissenschaftler- und Patientensicht. Bei meinen eigenen präklinischen Projekten fällt mir das oft noch schwer, auch, weil hier häufig nach wie vor das mechanistische Verständnis der Prozesse innerhalb der Tumorzellen im Vordergrund steht. Außerdem treibt mich die wissenschaftliche Neugier manchmal in Richtungen, die vielleicht (für mich) superspannend sind, gleichzeitig aber nicht die größte Patientenrelevanz haben. Da hilft mir der Dialog mit anderen Patientenvertretenden sehr, um einen Kompromiss zu finden, der beide Aspekte adressiert. Deswegen bin ich auch fest überzeugt, dass ein Dialog auf Augenhöhe zwischen Forschenden und Patientenvertretenden für jedes Projekt eine enorme Bereicherung sein kann.
Und deshalb engagierst du dich nun als Patientenvertreterin im NCT und anderen Projekten?
Genau. Ich empfinde es inzwischen so, dass Patientenvertretende ein weiteres wichtiges Puzzleteil für interdisziplinäre Projekte darstellen können. So wie ein Projekt nur davon profitieren kann, frühzeitig beispielsweise die Vorgaben der Biostatistiker:innen zur Fallzahl oder der Bioinformatiker:innen zur benötigten Datengrundlage zu berücksichtigen, kann die Perspektive der „Endkunden“, also der Patient:innen bereits früh im Entwicklungsprozess doch eigentlich nur Vorteile für das Endprodukt bedeuten, oder?
Durch die explizite strategische Ausrichtung des NCT hin zu patientenzentrierter Forschung und patientenrelevanten Endpunkten wie Lebensqualität ergibt sich die einmalige Chance, die Landschaft der klinischen Studien in Deutschland in diese Richtung zu transformieren. Und dabei ist der Input von geeigneten Patientenvertretenden unabdingbar, um geeignete Messinstrumente zu definieren, mit denen die relevanten Aspekte der Lebensqualität erhoben werden.
Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Entwicklung ein großer Schritt in die richtige Richtung ist und engagiere mich deshalb mit voller Überzeugung im NCT. Daneben habe ich inzwischen die Gelegenheit bekommen, auch in weiteren Projekten die Patientenperspektive zu vertreten. Das Feedback war bisher trotz einer anfänglichen Skepsis auf Seiten der Forschenden durchweg positiv. Daher bin ich guter Dinge, dass sich die Disziplin „Patientenexpertise“ als zusätzliche Komponente interdisziplinärer Projekte in der Krebsforschung durchsetzen wird. Es können dabei nämlich alle nur gewinnen!
Mit deinem wissenschaftlichen Hintergrund bist du unter den Patientenvertretenden sicher die Ausnahme, oder?
Ja, absolut. Und das ist auch unheimlich wichtig. Wir brauchen Diversität in der Patientenvertretung, und das in allen möglichen Dimensionen, z.B. bei Alter, Geschlecht, Tumorentität, Erfahrung mit verschiedenen Behandlungsformen – aber eben auch in Bezug auf das Bildungsniveau, den kulturellen und beruflichen Hintergrund und den sozioökonomischen Status. Denn nur so haben wir die Chance, auch wirklich auf die diversen Belange der Krebspatient:innen adäquat eingehen zu können.
Ein wichtiges Handlungsfeld, in dem wir als Patientenvertretende die Situation für Krebspatient:innen verbessern können, ist es, für die bessere Verständlichkeit von Aufklärungs- oder Informationsschriften zu sorgen. Für eine solche Aufgabe sind Patientenvertretende wie ich mit einem wissenschaftlichen Hintergrund oder auch viel Erfahrung im klinischen Kontext gar nicht gut geeignet, weil uns medizinischer Fachjargon teilweise gar nicht mehr als unverständlich auffällt.
Außerdem habe ich manchmal aufgrund meiner Erfahrung im System zu viel Verständnis für die etablierten wissenschaftlichen Strukturen, um sie konsequent zu hinterfragen. Da hilft ein frischer Blick von jemandem, dem diese Strukturen fremd sind, um innovative Ideen zu generieren. Meine duale Perspektive als Wissenschaftlerin und Patientenvertreterin kann dann dabei helfen, Brücken zu bauen zwischen den Anliegen der Patientenvertretenden und den praktischen oder strukturellen Vorgaben der Forschenden.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Antje Blum.