DGHO 2024: Chancen und Herausforderungen der Künstlichen Intelligenz, Gesundheitspolitik und innovative Therapieansätze im Fokus
14. Oktober 2024
Die Jahrestagung der Deutschen, Österreichischen und Schweizerischen Gesellschaften für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO), die vom 11. bis 14. Oktober 2024 stattfand, zählt zu den bedeutendsten Kongressen im deutschsprachigen Raum für Hämatologie und Onkologie. Mit 737 eingereichten wissenschaftlichen Beiträgen und 1.300 Präsentationen, darunter Vorträge und Posterdiskussionen, bot der Kongress ein umfassendes Programm, das aktuelle Forschungsergebnisse und praxisrelevante Fortbildungen vereint (1).
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DGHO: Wissenstransfer auf höchstem Niveau
„Wir freuen uns über die einzigartige Gelegenheit, uns mit nationalen und internationalen Spezialistinnen und Spezialisten über die aktuellen Entwicklungen in der Diagnostik und Therapie von Blut- und Krebserkrankungen austauschen können. Viele der Impulse – sowohl für Wissenschaft und Forschung als auch für die klinische Versorgung unserer Patientinnen und Patienten – werden wir mit in unseren beruflichen Alltag nehmen“, betont Prof. Dr. med. Anne Angelillo-Scherrer, Klinikdirektorin und Chefärztin des Inselspitals Bern. Gemeinsam mit Prof. Dr. med. Peter Brossart, Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III am Universitätsklinikum Bonn, führt Angelillo-Scherrer dieses Jahr die Kongresspräsidentschaft.
DGHO-Programm spiegelt die Breite des Fachgebiets und den dynamischen Wissenszuwachs wider
Im Mittelpunkt der Tagung stehen innovative Diagnostikverfahren und multimodale Therapien, insbesondere im Bereich der Immuntherapien. Interdisziplinär und interprofessionell werden neue Ansätze wie Immuncheckpoint-Inhibitoren, bispezifische Antikörper, CAR-T-Zelltherapien und Vakzinierungen beleuchtet. Das umfangreiche wissenschaftliche Programm zeigt deutlich, dass wir unser medikamentöses Therapiespektrum in den letzten Jahren erheblich erweitern konnten, erklärt Prof. Dr. med. Peter Brossart. Gezielte Therapien, die auf genetischen Mutationen basieren – wie etwa beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom – sind nur ein Beispiel für das enorme Potenzial innovativer Behandlungsmöglichkeiten, so Bossart.
KI in der Medizin: Chancen und Herausforderungen
Künstliche Intelligenz (KI) bietet der Medizin vielfältige Möglichkeiten, insbesondere durch die Unterstützung bei der Analyse der stetig wachsenden Datenmengen. KI-Systeme können spezifische Muster erkennen, die für die Diagnose, Therapie und Prognose von Krankheiten entscheidend sind. Im Bereich der Biomarkerforschung beschleunigt KI deren Entdeckung und Entwicklung, was zu präziseren Diagnose- und Therapiemöglichkeiten führt. Darüber hinaus optimiert KI klinische Arbeitsabläufe, indem sie repetitive und zeitaufwändige Aufgaben automatisiert. So bleibt mehr Zeit für die direkte Patientenversorgung. In der Wirkstoffentwicklung und bei klinischen Studien kann KI die Analyse komplexer Daten beschleunigen und geeignete Patientenkohorten schneller identifizieren.
Prof. Dr. med. Jakob Nikolas Kather, Professor für Künstliche Intelligenz in der Medizin an der Technischen Universität Dresden und Vorsitzender des DGHO-Arbeitskreises ‚Künstliche Intelligenz in der Hämatologie und Onkologie‘, sieht großes Potenzial in der Nutzung von KI, weist jedoch auf bestehende Herausforderungen hin: „Die Nutzung von Patientendaten in der KI-basierten Forschung bietet enorme Chancen, ist aber gleichzeitig mit Herausforderungen verbunden, insbesondere in Bezug auf Datenschutz und Datenqualität. Diese Aspekte unterstreichen die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz in Forschung und Klinik. Übergeordnetes Ziel muss es sein, Konzepte in Diagnostik und Therapie zu optimieren und so die Versorgung unserer Patientinnen und Patienten zu verbessern.“
Mit Blick auf die Chancen von KI-Systemen betont Prof. Dr. med. Andreas Hochhaus, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO und Direktor der Abteilung für Hämatologie und Internistische Onkologie am Universitätsklinikum Jena, dass KI immer nur als ein unterstützendes Element verstanden werden dürfe. Die Innovationssprünge der vergangenen Jahre, die das Spektrum der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten deutlich erweitert haben, sei für Patient:innen ein sehr großer Gewinn, so Hochhaus. Doch die ärztlich-pflegerische Beziehung zu den Patient:innen bleibt zentral. So kann KI beispielsweise im Vorfeld der partizipativen Entscheidungsfindung bei unseren Überlegungen unterstützen. Das vertrauensvolle Gespräch, die gemeinsame Entscheidung und die ärztliche Intuition hingegen kann sie nicht ersetzen, betonte Hochhaus.
Wohnortnahe Versorgung auf hohem medizinischen Niveau gefährdet
Das deutsche Gesundheitssystem zeigt sich oft schwerfällig in der Anpassung an die rasante Innovationsgeschwindigkeit in der Hämatologie und Medizinischen Onkologie. Die Versorgungsrealität nicht angemessen abbildet, macht Hochhaus am Beispiel der Krankenhausreform deutlich. Die Bundesregierung strebt an, eine qualitätsgesicherte stationäre Versorgung durch die Bündelung personeller und finanzieller Ressourcen zu gewährleisten und das DRG-System (Fallpauschalen) durch eine Vorhaltevergütung zu ersetzen. Wir begrüßen die Intention der Politik, sehen bei der Umsetzung des Modells in Nordrhein-Westfalen aber deutlichen Nachjustierungsbedarf. Denn: Moderne Therapieverfahren wie die CAR-T-Zelltherapie, der Einsatz von bispezifischen Antikörpern oder gentherapeutische Ansätze sind in den Leistungskatalogen nicht ausreichend abgebildet. Hier fordern wir eine Korrektur, die Implementierung des Leistungsbereichs ‚Komplexe medizinische Onkologie‘ und die Aufnahme der Hämostaseologie als Querschnittsfach, erläutert Hochhaus.
Mit Blick auf die von den Kliniken beantragten und die letztlich zugeteilten Zahlen wird deutlich, dass die wohnortnahe Versorgung von Patient:innen mit hämatologischen und onkologischen Erkrankungen auf dem derzeitigen medizinischen Niveau gefährdet ist. Grund hierfür sind unter anderem Fehlannahmen bezüglich des Bedarfs und fachlich nicht nachvollziehbare Zuteilungen der zuständigen Behörden. Ziel muss die Gewährleistung der wohnortnahen und intersektoralen hämatologischen und onkologischen Versorgung in einem Gesamtkonzept und die Sicherung der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein. „Die DGHO wird sich sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene weiterhin um eine intensive Diskussion mit den relevanten Entscheidungsträgern bemühen“, so Hochhaus.
Balance zwischen medizinischen Möglichkeiten, Ethik und Ökonomie
Das ‚Österreichische Onkologie Forum‘ thematisiert auf der Jahrestagung die Qualität der Versorgung von Patient:innen mit Blut- und Krebserkrankungen in Österreich. Ziel des Projekts ist es, die Versorgung anhand anerkannter Qualitätsindikatoren aus klinischer Perspektive zu analysieren. Dabei werden Aspekte wie Screening, Diagnostik, Behandlung, Pflege, klinische Studien, Palliativmedizin und Rehabilitation ebenso wie sozioökonomische Faktoren beleuchtet. Darüber hinaus wird das Thema des Personalmangels in die Analyse einbezogen. Ein Schwerpunkt der Diskussionen wird es sein, inwieweit administrative Hürden bei der Verordnung innovativer Arzneimittel zu überwinden sind, so Univ. Prof. Dr. med. Ewald Wöll, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie und Ärztlicher Direktor der Abteilung Innere Medizin am Krankenhaus St. Vinzenz in Zams. Der österreichweit einheitliche Zugang zu evidenzbasierter Behandlung, die Bedeutung standardisierter Dokumentation, der Ausbau der Digitalisierung und eine bessere Vernetzung mit Hausärzten sind zentrale Themen für eine umfassende Verbesserung der Krebsversorgung, erläuterte Wöll weiter.