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JOURNAL ONKOLOGIE 12/2021
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Psychologische Unterstützung und Beratung von Krebspatient:innen

Dr. med. vet. Astrid Heinl und Sabine König

Psychologische Unterstützung und Beratung von Krebspatient:innen
© Syda Productions - stock.adobe.com
Sabine König ist Diplom-Psychologin sowie Kursleiterin für Autogenes Training, Progressive Muskelrelaxation und Stressmanagement und verfügt über die Weiterbildung Psycho-Onkologie. Sie arbeitet als Diplom-Psychologin in der Abteilung Psycho-Onkologie im Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum Berlin sowie bei ATURO (Ambulante Therapien in der Urologie Berlin Wilmersdorf), wo sie Patient:innen in emotional schwierigen Phasen einer Erkrankung betreut. Frau König berichtet in JOURNAL ONKOLOGIE, wie Krebspatient:innen nach der Diagnosestellung, im Umgang mit Nebenwirkungen der Therapie und bei der Krankheitsbewältigung psychologisch unterstützt werden.
Sabine König
Sabine König, Berlin

Interview mit Sabine König, Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum und ATURO, Berlin.

Gibt es Unterschiede bei der psychologischen Beratung in der niedergelassenen Praxis und in der Klinik?

Ich bin sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich tätig. Eine psychoonkologische Beratung ist leider keine Kassenleistung, die Krankenkasse finanziert nur eine ambulante Psychotherapie, jedoch keine psychologische Beratung. Die Versorgung in der Psychoonkologie ist somit nicht optimal. Hier bei ATURO kann jede Patientin/jeder Patient oder deren Angehörige einmal im Jahr eine psychoonkologische Beratung nutzen, ansonsten müssen sie diese selbst bezahlen. In Berlin gibt es wenige Krebsberatungsstellen, die sich aus Spendengeldern finanzieren. Insgesamt ist das daher eine unbefriedigende Situation für die ambulanten Patient:innen.

Im stationären Bereich ist das anders, denn Psycho-Onkolog:innen sind Pflicht, damit eine Zertifizierung eines Organzentrums, z.B. eines Prostatakarzinomzentrums, stattfindet. Man hat den Bedarf erkannt, und hier profitieren alle Patient:innen von einer Beratung.

Die Patient:innen, welche eine psychoonkologische Versorgung in Anspruch nehmen, befinden sich meist in unterschiedlichen Ausgangssituationen. Zum einen kann die Diagnose bzw. der Verdacht einer Krebserkrankung als Zufallsbefund betrachtet werden. Zum anderen kann es auch sein, dass sie unspezifische Beschwerden festgestellt haben oder sich aufgrund einer genetischen Disposition in der Familie schon länger damit auseinandergesetzt haben, dass die gezeigten Beschwerden mit einer ernsthaften Erkrankung in Zusammenhang stehen könnten.

Wie reagieren Menschen, wenn sie mit der Diagnose Prostata-, Blasen- oder Nierenkrebs konfrontiert werden?

Tatsächlich ist das sehr unterschiedlich. Es gibt Patient:innen, die das ganz pragmatisch und rational sehen. Gerade beim Prostatakarzinom ist das aufgrund der günstigen Prognose und der guten Therapiemöglichkeiten oft der Fall, und es ist natürlich auch abhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die Erstdiagnose gestellt wurde. Nicht immer ist die Reaktion des Menschen aufgrund der Tumorformel für Fachleute schlüssig. Nicht nur ungünstige Tumorformeln stellen eine enorme psychische Belastung dar, manchmal reicht auch schon der Begriff „Krebs“ aus, um in den Patient:innen etwas auszulösen, was sie als belastend erleben. Das wird auch davon beeinflusst, in welcher Situation sich die Menschen gerade befinden, ob sie beispielsweise weitere Belastungen, z.B. in Familie oder Beruf, haben. Auch die Persönlichkeit des Menschen spielt eine Rolle – wie gut kann der Betroffene mit Stress umgehen, hat er bereits anderweitige Schwierigkeiten bewältigt und auf welche Ressourcen kann er zurückgreifen?

Für manche Menschen bedeutet Krebs ein Stigma. Das ist auch ein gesellschaftliches Problem, denn Krebs ist mit Krankheit und Tod assoziiert und damit ein Tabuthema, welches in unserer Kultur wenig Beachtung findet. Manche Patient:innen fühlen sich auch als Menschen 2. Klasse, weil sie sich nicht mehr so leistungsfähig fühlen und für ihren Arbeitgeber möglicherweise nicht mehr attraktiv sein könnten. Das führt manchmal sogar dazu, dass manche Patient:innen ihre Erkrankung dem Arbeitgeber nicht mitteilen wollen, was jedoch nachteilig ist, da mit einer Krebserkrankung ein Schwerbehindertenausweis beantragt werden kann, was je nach Einstufung u.a. bedeutet, dass man Zusatzurlaub oder einen Kündigungsschutz hat.

Leider haben einige Betroffene auch noch Jahre nach der Therapie mit Nebenwirkungen wie z.B. Fatigue zu kämpfen. Die Patient:innen haben also die Belastung aufgrund der Erkrankung und zudem Sorgen, was nun auf sie zukommt. Andere Patient:innen haben zudem Schuldgefühle, und fragen sich, was sie falsch gemacht haben und ob sie erkrankt sind, weil sie ungesund gelebt haben. Sie empfinden oft Traurigkeit oder Wut und denken „Warum ich – ich habe mein Leben lang gearbeitet und jetzt bin ich krank.“ Diese Schuldgefühle etc. sollten relativiert und den Patient:innen erklärt werden, dass der Erkrankung ein multikausales Geschehen zugrunde liegt.

Auch die Familie kann betroffen sein. So kann auch für die Partnerin/den Partner erst einmal eine Welt zusammenbrechen oder gemeinsam für das Paar, das vielleicht gerade kurz vor der Rente ist und das Leben nun ohne anderweitige Verpflichtungen genießen wollte – doch dann kommt die Diagnose Krebs dazwischen.

Unter welchen Ängsten und Be­schwer­den leiden die Pa­tient:innen zusätzlich zu ihrer Krankheit? Welche Probleme können im sozialen Umfeld auftreten? Und wie werden sie entlastet?

Natürlich spielt Angst bei Krebserkrankungen eine große Rolle, auch wenn die behandelnde Ärztin/der behandelnde Arzt betont, dass das eine Erkrankung ist, für die es gute Therapien gibt. Man geht davon aus, dass etwa ein Drittel aller an Krebs erkrankten Patient:innen eine psychische Erkrankung, z.B. Angststörung, Anpassungsstörung oder Depression entwickelt. Sie freuen sich über nichts mehr, sind dünnhäutig und gereizt, was dann oft die Angehörigen zu spüren bekommen. Auch vertrauen die Patient:innen ihrem Körper nicht mehr. Sie haben sich gut gefühlt und werden dann aber mit der Diagnose Krebs konfrontiert, sodass sie sich ohnmächtig und ausgeliefert fühlen.

Für die meisten Krebspatient:innen ist die Erkrankung also psychisch belastend. Die Häufigkeit psychischer Begleiterkrankungen von Tumorpatient:innen wird in der Uro-Onkologie mit etwa 40% angegeben; beim Prostatakarzinom liegt der Anteil bei 24,4%. Dass sich die Patienten beim Prostatakarzinom weniger belastet fühlen, liegt möglicherweise an der guten Prognose und daran, dass Inkontinenz und Potenzstörungen gut behandelbar sind. Bei einem Blasenkarzinom mit Entfernung der Blase ist die Lebensqualität eingeschränkter; daher ist der Anteil der psychisch erkrankten Patient:innen bei dieser Entität höher.

Prävention kommt hier oft zu kurz. Wir Psycholog:innen können die Patient:innen aber beraten, was sie tun und wie sie mit Ängsten oder Stress umgehen können, damit es eben nicht zu einer ernsthaften psychischen Erkrankung kommt, die zusätzlich zur Krebserkrankung belastend ist.

Möglicherweise gibt es hier auch Unterschiede zwischen Frauen und Männern. Es sollen keine Klischees bedient werden, aber das Rollenmodell kann durchaus einen Einfluss haben. Männer reden ungern über Probleme und sehen sich als Leistungsträger, während Frauen eher gelernt haben, sich über belastende Situationen auszutauschen und sich gegenseitig zu entlasten. Daher versuchen Frauen manchmal auch, ihren Partner davon zu überzeugen, mit einer Psychologin/einem Psychologen oder einer Psycho-Onkologin/einem Psycho-Onkologen zu sprechen. Im ambulanten Bereich sprechen männliche Patienten durchaus mit den behandelnden Urolog:innen, was zeigt, dass sie Vertrauen in deren Meinung haben. Außerdem macht es einen Unterschied, ob sie von sich aus nach einer psycho­onkologischen Beratung fragen oder ob ihnen diese im Arztgespräch oder in einem Fragebogen angeboten wird.

In der Uro-Onkolgie können auch körperliche Einschränkungen die Folge sein. So haben Männer nach einer Prostatakarzinom-Operation vielfach mit Inkontinenz zu kämpfen. Dies ist oftmals vorrangig das erste Thema, das für die Patienten sehr unangenehm und mit vielen Unsicherheiten assoziiert ist – hinzukommt, dass das Thema mit Scham besetzt ist.

Die Potenz spielt dagegen zunächst eine sekundäre Rolle. Mit zunehmender Kontinenzfähigkeit rückt sie jedoch wieder in den Fokus, sodass die Patienten das Gespräch mit der Urologin/dem Urologen suchen, um das Thema Sexualität anzusprechen. Denn die Identifikation – und auch der Selbstwert – eines Mannes hat letztendlich doch viel mit seiner Potenz und seiner Sexualität zu tun, auch wenn die Partnerin das vielleicht gar nicht als belas­tend ansieht, sondern froh ist, dass ihr Mann/Partner die Erkrankung überstanden hat und keine weitere Therapie benötigt.

Ein weiterer Punkt ist die Reaktion des sozialen Umfelds. Es gibt Patient:innen, die gar nicht über ihre Erkrankung reden wollen, manchmal nicht einmal mit Familienangehörigen und auch nicht mit Freunden oder Kolleg:innen, weil sie kein Mitleid wollen. Der ein oder andere Freund meldet sich möglicherweise nicht mehr, wenn er hört, dass jemand aus dem Freundeskreis Krebs hat, weil er das Gefühl hat, nichts tun zu können und daher unsicher ist und weil das auch oft die eigene Angst widerspiegelt, selbst an Krebs zu erkranken. Die Patient:innen erleben dadurch eine Sinnkrise und möchten z.T. auch erst einmal keinen Kontakt mehr, sondern erst behandelt werden und nach der Rehaklinik wieder als diejenige/derjenige von früher in das soziale Umfeld zurückkehren. Daraus kann aber auch Einsamkeit resultieren.

Leistungsminderung und Fatigue sind neben Inkontinenz und Potenzstörungen ebenfalls ein großes Thema, denn es ist nicht einfach, Einschränkungen der Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit zu akzeptieren. Wer berufstätig ist, bemerkt womöglich, dass er nach der Therapie und Reha nicht gleich wieder fit ist und nicht mehr genauso arbeiten kann wie bisher. Die ursprüngliche Belastbarkeit kann manchmal auch gar nicht mehr erreicht werden. Das addiert sich oft noch zu der altersbedingten Leistungsminderung, sodass vor allem ältere Krebspatient:innen viel mehr Zeit brauchen, um ihren Alltag wieder selbstständig zu organisieren und nicht den Pflegedienst dafür beanspruchen müssen. Das bedeutet Lebensqualität für die Patient:innen.

 
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